Donnerstag, 19. Januar 2017

Gegen das Selbstopfer

Aus Opfern werden Ex-Opfer. Dies kennt ihr bereits, ohne euch vielleicht aller Bedeutungen bewusst zu sein.

Neben dem Opfer, das andere von einem fordern, ist im Moment das Selbstopfer ein Heiliges, das nicht mehr hinterfragt werden soll, nicht mehr hinterfragt werden darf.

Auch euch wiederauferstandenen Gläubigen rufe ich zu: Wofür ihr euch opfern wollt, wofür ihr euch opfern könnt, das taugt nichts, das ist alles nichts wert, sondern ohne Zweifel nur ein weiterer Modus der Degeneriertheit. Euren einzigen Löwen-Moment nutzt ihr aus, um wieder zum Kamel zurückzukehren. Wahrlich, wer zu hoch geflogen ist, der braucht starke Kompressionen, damit ihn der schnelle Absturz nicht zittern macht. Dabei bläht ihr euch bedeutungsschwanger auf, wenn ihr davon sprecht, nur selbstloses Mittel für ein irdisch-überirdisches Ideal zu sein. Und doch seid ihr nicht besser als die, welche glauben, dass sich einer bestimmten Freiheit alle anderen Freiheiten unterordnen müssen. Nicht besser als die, welche anderen Interessen dienen, weil sie glauben, eine untilgbare Schuld verbüßen zu müssen. Wohin ihr fünf Mal am Tag betet, ist mir prinzipiell egal. Mir ist nur wichtig zu bezeugen, dass ihr es tut. Und dass ihr offensichtlich euer ganzes Leben schon auf den gewartet habt, den ihr alternativlos anbeten könnt und der euch das Beten gelehrt hat. Endlich könnt ihr eurem Leiden einen Sinn geben.

Noch etwas weiteres werdet ihr mir wohl kaum glauben, wenn ich euch sage: Dass ihr gerade DIESES Ideal und kein anderes ausgesucht habt, ist keinem göttlichen Schicksal oder einer anderen metaphysischen Wahrheit geschuldet. Es war weder Glück noch Pech, sondern einfach Zufall. Da könnt ihr noch so viel Überzeugung in eure Worte legen. Einfach Zufall.

Eure Charakterstärke allein bohrt nämlich keine dicken Bretter, die verstellt nur die Sicht. Es war immer schon so: Wem der Himmel nah erschien, hatte häufig nur ein eingeschränktes Blickfeld. Mal ehrlich, wisst ihr denn selber noch, ob durch euch gerade ein Ideal aufgerichtet oder eines abgerissen wird? Wird nicht jedes Mal nur das eine Denkmal durch das andere ersetzt? Haben einige von euch nicht etwa schon einmal nach neuen Wegen zum Kommunismus gesucht? Klar ist wenigstens, dass auch euer politischer Monotheismus eben nur eine Perspektive auf das Ganze ist. Habt ihr Argumente, warum ihr besser seid?

Noch eins muss ich euch sagen: Spätestens wenn nach großen Entbehrungen endlich eure Werte zur Herrschaft gekommen sind, werden wie bei allen zuvor eure Tabubrüche in Rechtsbrüche übergehen. Spätestens dann wollt ihr nicht mehr euch selbst für euer Ideal opfern, sondern andere. Sobald ihr Zweifel an euch für Sünde haltet, greift auch ihr zur Gewalt. Und auch euer Wunsch nach Gewalt maskiert sich nur als Altruismus.

Nehmt ihr folgenden letzten Rat an?: Schon so mancher vor euch schlug in selbstloser Geilheit auf 72 unberührte Feuchtgebiete tödlich auf dem Asphalt auf. Zum Glück für euch gehen schlimme Jahrtausende schneller vorbei als glückliche.

Es kann kein Paradies geben, das ohne mich Paradies wäre. Auch das Selbstopfer produziert und reproduziert immer nur verletzte Überlebende und damit immer wieder Kultur.