Mittwoch, 18. Mai 2011

Eitelkeit bei Nietzsche

Jenseits von Gut und Böse, Aphorismus 261:

"Zu den Dingen, welche einem vornehmen Menschen vielleicht am schwersten zu begreifen sind, gehört die Eitelkeit: er wird versucht sein, sie noch dort zu leugnen, wo eine andre Art Mensch sie mit beiden Händen zu fassen meint. Das Problem ist für ihn, sich Wesen vorzustellen, die eine gute Meinung über sich zu erwecken suchen, welche sie selbst von sich nicht haben – und also auch nicht »verdienen« –, und die doch hinterdrein an diese gute Meinung selber glauben. Das erscheint ihm zur Hälfte so geschmacklos und unehrerbietig vor sich selbst, zur andren Hälfte so barock-unvernünftig, daß er die Eitelkeit gern als Ausnahme fassen möchte und sie in den meisten Fällen, wo man von ihr redet, anzweifelt. Er wird zum Beispiel sagen: »ich kann mich über meinen Wert irren und andrerseits doch verlangen, daß mein Wert gerade so, wie ich ihn ansetze, auch von andern anerkannt werde – aber das ist keine Eitelkeit (sondern Dünkel oder, in den häufigeren Fällen, das was ›Demut‹, auch ›Bescheidenheit‹ genannt wird).« Oder auch: »ich kann mich aus vielen Gründen über die gute Meinung anderer freuen, vielleicht weil ich sie ehre und liebe und mich an jeder ihrer Freuden erfreue, vielleicht auch weil ihre gute Meinung den Glauben an meine eigne gute Meinung bei mir unterschreibt und kräftigt, vielleicht weil die gute Meinung anderer, selbst in Fällen, wo ich sie nicht teile, mir doch nützt oder Nutzen verspricht – aber das ist alles nicht Eitelkeit.« Der vornehme Mensch muß es sich erst mit Zwang, namentlich mit Hilfe der Historie, vorstellig machen, daß seit unvordenklichen Zeiten, in allen irgendwie abhängigen Volksschichten der gemeine Mensch nur das war, was er galt – gar nicht daran gewöhnt, Werte selbst anzusetzen, maß er auch sich keinen andern Wert bei, als seine Herren ihm beimaßen (es ist das eigentliche Herrenrecht, Werte zu schaffen). Mag man es als die Folge eines ungeheuren Atavismus* begreifen, daß der gewöhnliche Mensch auch jetzt noch immer erst auf eine Meinung über sich wartet und sich dann derselben instinktiv unterwirft: aber durch aus nicht bloß einer »guten« Meinung, sondern auch einer schlechten und unbilligen (man denke zum Beispiel an den größten Teil der Selbstschätzungen und Selbstunterschätzungen, welche gläubige Frauen ihren Beichtvätern ablernen, und überhaupt der gläubige Christ seiner Kirche ablernt). Tatsächlich wird nun, gemäß dem langsamen Heraufkommen der demokratischen Ordnung der Dinge (und seiner Ursache, der Blutvermischung von Herren und Sklaven), der ursprünglich vornehme und seltne Drang, sich selbst von sich aus einen Wert zuzuschreiben und von sich »gut zu denken«, mehr und mehr ermutigt und ausgebreitet werden: aber er hat jeder Zeit einen älteren, breiteren und gründlicher einverleibten Hang gegen sich – und im Phänomene der »Eitelkeit« wird dieser ältere Hang Herr über den jüngeren. Der Eitle freut sich über jede gute Meinung, die er über sich hört (ganz abseits von allen Gesichtspunkten ihrer Nützlichkeit, und ebenso abgesehn von wahr und falsch), ebenso wie er an jeder schlechten Meinung leidet: denn er unterwirft sich beiden, er fühlt sich ihnen unterworfen, aus jenem ältesten Instinkte der Unterwerfung, der an ihm ausbricht. – Es ist »der Sklave« im Blute des Eitlen, ein Rest von der Verschmitztheit des Sklaven – und wie viel »Sklave« ist zum Beispiel jetzt noch im Weibe rückständig! –, welcher zu guten Meinungen über sich zu verführen sucht; es ist ebenfalls der Sklave, der vor diesen Meinungen nachher sofort selbst niederfällt, wie als ob er sie nicht hervorgerufen hätte. – Und nochmals gesagt: Eitelkeit ist ein Atavismus*."

*Atavismus = Rückfall in alte Zeiten

Wie konnte sich der Begriff der Vornehmheit bloß von den Unvornehmen so sehr uminterpretieren lassen, dass er heute durch Arroganz, Überheblichkeit oder Menschenverachtung ersetzt wurde? Wo sind all die Vornehmen bloß hin?

Sprüche (22)

Niemand wird mit abrasierten Beinen in den Garten Eden kommen. - Das ist mehr ein Indikativ als ein Imperativ!

Was ist die körperfeindlichste Krankheit? - Die Thrombose.

Eine Mutter spritzt ihrer Tochter Botox, damit sie schöner wird, und alle regen sich zu recht darüber auf. Dieselben Leute glauben allerdings, dass Dummheit sich mit dem Alter in Vernunft verwandelt.

Bedürfnis und Befriedigung

Wenn wir kritisieren, dass die Wirtschaft uns einredet, dass wir Bedürfnisse haben (sollen), die uns die Wirtschaft anschließend auch noch befriedigt, so wird man mit gutem Grund auch die vorher angesprochenen körperlichen Bedürfnisse wie die psychologischen Bedürfnisse kritisieren dürfen bzw. müssen. Psychologen "therapieren" die von ihnen erfundenen Krankheitsphänomene wie die Sportindustrie unser Bedürfnis nach Bewegung befriedigt. Selbst wenn wir unterstellen, dass die psychologischen Verlangen ähnlich 'natürlich' sind wie die körperlichen (auch wenn es wirklich Soziologen geben soll, die behaupten, dass unsere Bedürfnisse nach Bewegung, Fitness etc. unter das verächtliche Phänomen des Jugendwahns fallen), so habenwir immer noch einen zivilisatorischen - falschen - Begriff von Natürlichkeit vor Augen, der mit der reichen und üppigen Natur da draußen (wie wahr) nichts zu tun hat. Ein Tier 'konsumiert' nur dann Nahrung, wenn es am Rande des Überlebens kämpft. Psychologische, ökonomische, motorische, ernährungstechnische Bedürfnisse jedoch gibt es in einer vollkommenen Welt nicht. Junge Affen greifen beispielsweise nicht aus Hunger nach immer mehr Insekten, sondern um ihr Machtgefühl zu steigern. Denn wo das Leben reichlich vorhanden ist, da gibt es Nahrung und Bewegung im Überfluss, jedoch keinen wirtschaftlichen oder psychologischen Konsum. Konsumieren wollen bedeutet ebenso aus abgeholzten Wäldern auf ferne Himmel zu blicken.

Wie: Ist alle Theologie zum Schluss doch wieder nichts anderes als...? ... Und was ist mit Wittgensteins Versuch, die Philosophie zu heilen und sich selbst von der falschen Philosophie zu heilen? Und noch deutlicher: Was ist dann zuletzt der Trieb zur Wahrheit? - "Muss Wollen also doch zu Nicht-Wollen werden?" - Ihr versteht es besser, meine Freunde!

Montag, 9. Mai 2011

Sprüche (21)

Lieber eine mutige Dummheit als eine feige Klugheit!

Es heißt, Schwule seien die besten Männer; aber kein Mann würde behaupten, dass die besten Frauen Lesben sind - wer kann sich diese Asymmetrie erklären?

Wenn ich eine Frau auf hohen Schuhen sehe und ihr sage, dass sie doch mal richtig laufen lernen sollte, dann würde sie das mit Sicherheit missverstehen. Sie würde noch eifriger an ihrer Gangart arbeiten und sich noch mehr damit identifizieren - aber ich meinte doch, dass sie den Wert der Bewegung ganz neu überdenken sollte und den Körper nicht mehr mit sinnlosen und lebensfeindlichen Idealen aufladen solle. Der Wald des Warmen Regens ist die Befreiung des Körpers aus der Umklammerung durch die eigenen Ideale.

Ein möglicher Einwand wäre: "Warum willst du die Ideale und Intentionen überhaupt so zurückdrängen, wenn der Geist als deren Träger auch die lebendigen Handlungen anstoßen, rechtfertigen und nejahen könnte?" - "Aber im Glauben an das Anstoßen des Körpers durch den Geist verrätst du bereits deine falsche Auffassung. Für dich ist der Körper etwas Statisches, nicht mehr als eine noch zu bereichernde Situiertheit - und es ist nicht unwahrscheinlich, dass du, während dir dieser Einwand eingefallen ist, gesessen hast und/oder du deinen Körper gerade nicht bewusst gespürt hast...also bitte lass deinen Körper in Ruhe mit deinen Idealen! Denn wenn jeder diesen Sabbat hält, dann bricht das Reich des Körpers an."

In der westlichen Welt mit ihrer durchgängien Medikalisierung hat der Mediziner eigentlich nur die Rolle des Priesters übernommen! Wer heil sein will, vertraut sich einem Menschen an, dem man mehr Ahnung beim Gesund- und Heil-Werden zutraut. Dass man damit aber nur die Symptome und nicht die Ursachen bekämpft, ist das typische Missverständnis einer an sich selbst leidenden und auf fremde Erlösung hoffenden Menschheit. Beide zweifeln zudem, ob es so etwas wie volle Gesundheit überhaupt geben kann, denn jede Phase von Frieden mit dem eigenen Kopf und dem eigenen Körper begreifen sie nur als kurzes Intermezzo zwischen zwei Kriegs- und Schmerzzuständen; beide haben nicht begriffen, dass ihre Unvollkommenheit aus einer mangelnden Würdigung des Körpers herrührt...

Um den Sternenhimmel in voller Pracht erblicken zu können, muss man zuerst den ganzen Wald abholzen.

"Die medikalisierten Körper"

Kapitel 5 aus "O'Neill - Die fünf Körper"

Wo immer mehr Wert auf die Therapie von Krankheiten gelegt wird und der Staat Gesundheitsberufe schafft, da entsteht "eine indirekt krank machende Macht, ein Gesundheit strukturell negierender Effekt. Sie [die Gesundheitsberufe] verwandeln Schmerz, Krankheit und Tod von einer persönlichen Aufgabe in ein technisches Problem und entleeren damit die Fähigkeit des Menschen, mit der eigenen Situation autonom umzugehen." ... "Verspricht man, vor allem durch Experten, eine allgemein gesicherte Gesundheit, so sind die Leute offenbar bereit, jede Phase und jede Facette ihres Lebens klinisch-stationärer Fürsorge zu unterwerfen." ... "Der medikalisierte Körper ist das Denkmal des Konsums." ... "In der Moderne greift der Staat im Namen eines therapeutischen Gesundheitsdienstes an seinen Untertanen noch viel tiefer nach ihren Köpfen und Körpern und setzt sich fest." ... "Der religiöse Mensch wurde geboren, um erlöst zu werden: der homo psychologicus wird geboren, um befriedigt zu werden."

Wie zum vorangegangenen Kapitel auch wieder einige Anmerkungen:
1.Wie schon beim zuvor thematisierten exzessiven Konsum geht es auch der Pharma-Industrie nicht darum, den Menschen gesund werden zu lassen, sondern ihn in immer größer werdender Abhängigkeit zu halten. Krankheiten zu therapieren bringt in jedem Fall größeren Gewinn durch ein größeres Abhängigkeitsverhältnis des 'Patienten' mit sich. Nicht der Kranke, sondern derjenige, der sich weigert, vorsorglich-untersuchend zum Arzt zu gehen, wird wie ein Aussätziger behandelt. Von den ganzen erfundenen psychologischen Krankheitsbildern, die als Konsequenz dazu führen, dass es gar keinen 'gesunden Menschen an sich' mehr gibt, will ich gar nicht erst reden...
2.Seit einiger Zeit schon werben Joghurt-Hersteller mit der gesund machenden Kraft ihrer Produkte. Wäre nicht ein Anfang gemacht, wenn keine Dinge mehr produziert würden, die wenigstens nicht krank machen?
3.Obamas großes innenpolitisches Projekt ist es, allen Menschen in seinem Land den Zugang zu einer Krankenversicherung zu ermöglichen. Etwas, das wie ein Segen für alle Menschen betrachtet werden könnte, ist bei genauerem Hinsehen aber auch nur ein Machtmittel des Staates, seine Bürger unter seine Kontrolle zu bringen. Warum sollte es einem Menschen nicht möglich sein, sich ärztlicher Behandlung komplett zu verweigern, wie es auch bei lebensverlängernden Maßnahmen am Ende des Lebens möglich ist? Aber nein, der Mensch muss jung und dynamisch sein, um ausbeutbar zu bleiben. Solange Bewegung nicht therapeutischen Zwecken dient, ist sie unerwünscht...
4.Erlösung und medizinische Heilung sind keine widersprüchlichen Faktoren in der Gesamtabrechnung des Lebens. Im Bedürfnis nach Erlösung drückt sich das gleiche Gefühl von Unvollkommenheit aus, wie es heute im Gesundheitswesen der Fall ist. Mit seinem Abfall aus der Natur hat der Mensch seine Sterblichkeit und Endlichkeit mit eingekauft, die er auf der religiösen Seite heute einfachhin akzeptieren soll, während er sie auf der therapeutischen Seite durch den staatlich verordneten Konsum von wirtschaftlichen und pharmazeutischen Mitteln verdrängen kann. Durch diese Polarisierung haben sie es gemeinsam in der Hand, den Menschen als von Natur aus krankes Wesen zu demoralisieren und dem Körper jede Chance auf Entfaltung zu nehmen.
5. Summa summarum bedeutet das: Sowohl das religiöse Heilsverlangen als auch die Bedürfniserweckung durch die Konsum-, die Kosmetik- und die Pharma-Industrie machen aus dem Menschen ein krankes Tier, das seinen Körper missverstehen, schwächen, entwerten, verachten und aufgeben soll. Die nicht-religiösen Methoden sind lediglich deshalb moderner, weil sie dem Menschen ein Gefühl von Souveränität und Verfügungsgewalt zurück geben, das der Mensch scheinbar verloren hatte, aber in zunehmendem Maße weiter verliert. Wo nämlich von allen Seiten auf den Körper eingeprügelt wird, ist der ganze Mensch zuletzt nur ein Spielball verschiedener Absichten, mit denen man aus abgeholzten Wäldern auf ferne Himmel blickt.

Deshalb: Lasst den Körper in Ruhe!

Freitag, 6. Mai 2011

"Die Konsumenten-Körper"

Kapitel 4 aus "O'Neill - Die fünf Körper"

"In unserer eigenen Ökonomie scheinen wir unfähig zu sein, zwischen Subsistenz- und Prestige-Ökonomie zu unterscheiden." ... "Wenn wir also nicht lernen, uns zu verweigern und Widerstand zu leisten, dann wird aus dem, was früher Selbst-Bewusstsein und persönliche Identität genannt wurde, nichts als eine Konsumenten-Fähigkeit. ... Die massivste Ausbeutung entsteht immer da, wo die Wirtschaft uns lehrt, unseren Körper in seinem natürlichen Zustand zu entwerten und ihn erst wieder aufzuwerten, wenn ihm Eleganz, Spontaneität, Lebendigkeit, Schwung, Selbstvertrauen, Gewandtheit und Frische anverkauft wurden." ... "Millionen von Konsumenten werden so bereits in ihrer frühesten Kindheit mit der Last einer angelernten Unzufriedenheit beladen." ... "In kaum einer anderen Hinsicht war das Wirtschaftssystem bei der Aufstellung von Werten und der Anpassung sich daraus ergebender Verhaltensweisen an die eigenen Bedürfnisse so erfolgreich wie bei der Formung weiblicher Einstellung und Verhaltensweise." ... Die Werbung ist voll von Menschen, "die sich recken und strecken zum Einklang mit einer Idealfigur, die sich ihnen immer wieder entzieht." ... "Man kann argumentieren, dass die sogenannte sexuelle Revolution in Wirklichkeit ein Phänomen einer sehr viel tiefer reichenden körperlichen Entfremdung ist, sofern sie Sex zur Arbeit macht und neue Sorgen produziert, etwa wegen Unersättlichkeit und Orgasmus-Häufigkeiten, oder Sex wird gar - wie eine Kaffeepause - zum Moment der Entspannung noch eiligerer Leute."

Einige Anmerkungen:
1.Konsum als Statusgut hat, wie O'Neill selbst ebenso im Text sagt, in allen Gesellschaften existiert, solange es Menschen überhaupt gibt. Mensch-Sein ist gerade das Auseinander-Fallen von Sinn und Bedeutung, von Ideal und Wirklichkeit. Heute steckt jedoch eine mächtige Industrie dahinter, die so etwas wie Befriedigtheit nur als Zwischenzustand kennt, worauf immer wieder eine zu befriedigende Unlust folgen muss. Vielleicht wäre es sogar korrekt zu sagen, dass nicht die Privatsender als solche Kinder früh verderben, sondern die gezeigte Werbung der Grund dafür ist, dass Kinder nicht mehr kreativ spielen können und wollen, sondern ihr Heil im Konsum irgendeiner Ware sehen. Das Kind macht damit in seinem persönlichen Leben genau die gleichen Evolutionssprünge durch wie die Menschheit als solche.
2.Wenn von massivster Ausbeutung des Körpers durch die Wirtschaft die Rede ist, sollte auch wieder dabeigesagt werden, dass der Körper immer schon ausgebeutet wird, sei es nun durch antrengende Lohnarbeit oder durch einen selbstverordneten Zwang zur Ästhetisierung. Wir sollen uns nicht durch ihre Produkte schön, sondern ohne ihre Produkte hässlich, wertlos, unangemessen fühlen; so empfinden es auch primitive Gesellschaften, die ihrem Körper sonstwie Schaden zufügen, um einen langen Hals oder kleine Füße zu bekommen. An der Würdigung des Körpers war der Mensch noch nie ernsthaft interessiert - und wenn doch...so kennt ihr seinen Ausgang!
3.Dass Frauen in geschätzt 80% der Werbefilme als werbende und beworbene Personen auftauchen ist kein Wunder - wie für Jugendgewalt, exzessives Trinken und Rauchen, sind sie auch für Ästhetisierung und Markendruck besonders empfänglich. Man macht sie zum Objekt, das durch andere Objekte, die die Wirtschaft an die Frau bringt, überhaupt erst zu einer ernstzunehmenden Person werden kann. Sie bleibt so lange das schwache, minderwertige Geschlecht, wie sie sich nicht durch allen möglichen Kosmetika aufgewertet hat. Das geht sogar so weit, dass es viele Frauen gibt, die sich zwar selbst im Spiegel ansehen können, aber es anderen Menschen (und damit auch sich selbst) nicht zumuten möchten, ungeschminkt auf die Straße zu gehen. Aber Verschönerung ist das Gegenteil von Schönheit und keine Steigerungsform - bei der Schönheit selbst kommt man auf diese Weise niemals an.
4.Es ist richtig, dass heute viele Leute mit ihrer Sexualität umgehen, als wäre es einerseits nichts besonderes und andererseits das Non-plus-ultra, der Höhepunkt eines jeden Tages. Die vorangegangene Tabuisierung hat dem Sex einen Mythos beigelegt, der sich auch durch die offenste Darbietung in aller Öffentlichkeit immer noch hält - man fühlt sich im Grunde jedes Mal so, als hätte man schon wieder eine (Scham-)Grenze durchbrochen. Das zeigt aber auch, dass die Scham keineswegs gewichen ist, sondern lediglich als Stimulans, als Fetisch, dient. Ich hatte schon einmal gesagt, dass es keine menschliche Gesellschaft geben kann, in der das Sexual-Tabu gefallen wäre - es ist heute lediglich in eine Bedürfnis-Befriedigungs-Logik eingespannt, der man sich gerne aussetzt, weil man ja so viel am Ende dabei herausbekommt.
5. Es kann nicht darum gehen, alle Ästhetisierung und Ausbeutung (durch die Wirtschaft) zurückzunehmen und damit wieder in die Körpervergessenheit zu verfallen, die uns viele Jahrhunderte hindurch begleitete. O'Neills Problem ist nämlich, dass er den Körper vor allem als Metapher versteht bzw. nur insofern begreift, als er durch gesellschaftliche Aspekte mit Idealen aufgeladen ist. Aber ich schrieb es bereits: Seine Abwehr der falschen Ideale alleine wäre wieder einmal eine Zunahme der körperlichen Entfremdung, da O'Neill ja doch nichts Lebendiges mit dem Körper anzufangen weiß, was wäre: Laufen, Rennen, Springen, Klettern, Essen, Trinken etc.

Donnerstag, 5. Mai 2011

Theologie und Körper (2)

2. Leonhard - Leiblich lernen und lehren: Ein religionsdidaktischer Diskurs

"Die Körperbesessenheit der Erlebnisgesellschaft rückt jahrhundertelanger Körpervergessenheit 'zu Leibe'. Körperkulturen enthalten Paradoxa: durch Zugriffe von Medizin und Sport ... und die ästhetische Vergewaltigung der Körper." Der Mythos der Jugend steht "im Dienst einer Weltflucht, die den bedrückenden Erfahrungen der eigenen Endlichkeit durch Schönheit und Jugend zu entkommen sucht." Die zunehmende Digitalisierung weist da in eine andere Richtung: "Die Tendenzen zur Verkörperung und Entkörperung bestehen nebeneinander." ... "Schmerz, Schmutz, Anstrengung, Hunger, Schweiß und Körpergeruch sind hier genau so wichtig wie Wohlbehagen, Lust, Entspannung, Duft und Frische. Den Körper zu kultivieren, hieße eher, ihm Sorge zu tragen, seine Prozesse und Bedürfnisse wahrzunehmen und sie zu achten, ihm Nahrung, Hygiene, Bewegung, Ruhe, Zärtlichkeit und was er sonst braucht zu geben und auch deren schmerzliche Schattenseiten als zugehörig zu begrüßen." ... "'Somit käme alles darauf an, die Schnittstelle zwischen [Körper-]Bildern und Körpern als eine des Schmerzes festzuhalten und sich nicht in die schmerzlose Dummheit einer in sich befriedeten Intelligenz einzulassen. ... Man muss heute für diese Niederlage kämpfen, auch wenn man es nicht kann.'" ... "'Die Funktion des lebendigen Leibes kann ich nur verstehen, indem ich sie selbst vollziehe, und in dem Maße, in dem ich selbst dieser einer Welt sich zuwendende Leib bin.' Zu merken ist der Leib vor allem dort, wo er dem Tun, den Projekten Schranken setzt." ... "Innere Distanz bedeutet also, dass ich nicht in meiner Leiblichkeit aufgehe, sondern als Person den Leib zu übernehmen habe, der ich als natürlicher Leib schon bin".

Auch hier wieder nur einige Hinweise:
1.Der Körpervergessenheit wird nicht zu Leibe gerückt, sondern sie geht erst richtig los: Wo die Menschen jahrtausende lang ihren Körper arbeitstechnisch einsetzen mussten, war der Körper nicht vergessen, nur schon so sehr am Limit, dass man nichts weiteres mit ihm anfangen konnte bzw. musste. Erst mit der Begrenzung der Arbeitszeit des Tages entwickelte sich Freizeit, in der man etwas unternehmen konnte. Mit dem Aufkommen der Dienstleistungsberufe wurden viele Körperfähigkeiten nicht mehr gebraucht, die Digitalisierung tut ihr übriges. Erst dadurch ist möglich, dass wir mit dem Körper etwas anderes anfangen können. Nur inzwischen haben wir schon völlig vergessen, was wir mit ihm machen können. Sport ist zwar schön, aber doch nur ein Symptom - den Körper gewürdigt haben wir damit noch lange nicht. Noch deutlich einschneidender ist jedoch die ästhetische Aufwertung bzw. Selbstverstümmelung des Körpers, die in allen früheren, archaischen Menschheitszeitaltern auch schon ausgeprägt war, welche heute jedoch als einzige Funktion des vollständig domestizierten Körpers übrig bleibt. Fitness und Ästhetik arbeiten dabei beide gemeinsam daran, den Körper als Körper zu entwerten.
2.Man sollte nicht meinen, dass man Körperbild und Körper miteinander versöhnen kann, indem man die Spannung aufrecht erhält. Man würde damit nur ein Krankheitssymptom - die bewusste Abwertung des Körpers - durch ein anderes ersetzen, da die Würdigung des Körpers erst vollkommen erreicht wäre, wenn kein Ideal mehr auf ihn wirkt. Die erhoffte Niederlage ist also nur die Verdrängung der Lösung.
3. Es kann nicht darum gehen, dem Körper alle Bedürfnisse zu erfüllen und dessen Schattenseiten anzunehmen. Denn er hat seine Schattenseiten nicht durch seine mangelnde Kultivierung, sondern gerade auf Grund der Kultivierung, der Aufladung des Körpers mit Idealen. Schmutz, Anstrengung und Körpergeruch auf der einen und Wohlbehagen, Lust und Frische auf der anderen Seite sind gerade keine Gegensätze, sondern im Wald des Warmen Regens Entsprechungen.
4.Tatsählich spürt ein körperverachtender Mensch den Leib gerade dort, wo er im Wege steht, schließlich muss er ihn immer an die unmöglichsten Orte mitschleppen. Wer aber wirklich am Körper interessiert ist, der verleiblicht sich tatsächlich selbst, der will nicht als Person den Körper in sichere Bahnen lenken - wo ja der Gist selsbt seine größte Gefahr ist-, er will sich nicht mal mit dem Körper der Welt zuwenden. Der Mensch soll nicht in der Natur aufgehen, sondern die Natur im Menschen. Die Natur ist schließlich nur dann wirklich Natur, wenn sie Lebewesen in sich hat, die das Leben in sich und um sich herum haben.

Montag, 2. Mai 2011

Theologie und Körper (1)

1. Mühling - Grundinformation Eschatologie: Systematische Theologie aus der Perspektive der Hoffnung

"Der Leib bezeichnet das Medium kreatürlich-kommunikativer und wechselseitiger Beziehungen." ... "Bei der Auferstehung bleibt letztlich nur darauf hinzuweisen, dass mit der eschatischen Relevanz von Leiblichkeit auch die Leiblichkeit im Hier-und-Jetzt, so sehr sie sich auch von der easchatischen Leiblichkeit unterscheiden mag, aufgewertet wird. Das Christentum ist damit gerade keine leibfeindliche Religion." ... "Das [eschatische] Bild des Paradieses als eines Gartens veranschaulicht den Gedanken, dass die eschatische Realität sowohl die Vollendung der natürlichen Welt als auch der kulturellen Welt ist und es keine Trennung von Natur und Geist gibt."

Hierzu gäbe es etliches zu sagen. Nur drei Hinweise:
1. Dass das Christentum keine leibfeindliche Religion ist, kann man echt nur behaupten, wenn man den Körper auf den Leib reduziert und den Christentumskritikern unterstellt, dass sie niemals ein anderes Bild von Körper und Leib gehabt hätten. Jedoch wiegt der Vorwurf der Körperfeindlichkeit viel schwerer, da der Körper sich nicht einfachhin mit gedanklichen Intentionen aufladen lässt. Bewegung ist eben mehr als nur eine Metapher für das "kommunikative In-der-Welt-Sein"...
2. Dass im Paradies Natur und Geist vereint sind, halte ich doch für ein Gerücht. Schließlich kommt Eva erst zu Bewusstsein, nachdem sie vom Apfel gegessen hat. Würde man das Paradies ganz konsequent als bewusstseinsfrei denken, würde es eine noch geringere Rolle bei den eschatologischen Bildern einnehmen als jetzt schon.
3. Zuletzt läuft doch alles wieder darauf hinaus, dass die metaphorischen Elemente des Leibes im Zustand des Erlöst-Seins jede materielle Komponente zurückdrängen oder sogar ausschließen, da dies mit einem Zustand der Schwäche und Unvollkommenheit gleichgesetzt würde. Aber warum darf man auf Gottes Macht hoffen, während jede Hoffnung auf diesseitige Vervollkommnung schon als Symptom von Größenwahn gilt? Und warum spricht man bezüglich der Vervollkommnung im Himmel nicht häufiger von der Selbst-Werdung des Menschen - will man da einmal ehrlich sein?

Sprüche (20)

Stromausfall in der ULB - das Leben steht still...nun ist die Bibliothek wieder analog...

"Renn' nicht so wild!" ist auch ein Symptom. Man könnte meinen, dass jeder Imperativ dazu da ist, um den Körper...

Drogen nehmen, das bedeutet: sich abgefunden haben!

"So bin ich eben!" - Das ist eine Ausrede, getarnt als Argument...

Frauen haben deutlich häufiger als Männer das Bedürfnis, sich zum (Schönheits-)Objekt degradieren zu lassen. Wie kommt das?

Lernen ist eingeholte Überforderung.

Kontrasterfahrung: "Ich bin ein Halbaffe!" - Das ist der allererste von mir gesprochene Satz, an den ich mich noch erinnere. Leider fragte mich die Kindergärtnerin, was ich damit denn meinen würde. Man sieht: Der Widerstand (verschleiert als Unverständnis) brachte mich zur Reflexion, aber hat mich auch ziemlich heftig enttäuscht: Wald des Warmen Regens!

"Hier gibt es nicht viele Bäume, die zum Klettern geeignet sind!" - "Falsch! Die Bäume sind alle geeignet, nur dein Körper ist es nicht."

Früher gab es VorSTEHER und heute VorSITZENDE - wem kann ich damit noch Neues erzählen?

"Der Körper BRAUCHT..." ist eine unglaublich schiefe Formulierung. Denn der Körper braucht nur das, was er nicht bekommt. - Doch der Körper soll nciht nur nciht mit seinen ständigen Bedürfnissen nerven, sondern vollkommen zum Subjekt werden: Die Würdigung des Körper im Wald des Warmen Regens.

Ich weiß nicht, wo, aber: An irgendeinem Punkt ist der Feminismus, im positiven Sinne der Emanzipation der Frau, umgeschlagen in die Entmannung des Mannes. Vielleicht war das allerdings nur seine eigentlich Konsequenz - und wer weiß: möglicherweise sogar seine ursprüngliche Absicht?!

Wozu ist zuletzt alle Leibtheorie da? - Da die Leibvergessenheit in Leibnutzlosigkeit und später in Ästhetisierung umgeschlagen ist, soll nun die Vereinbarkeit von Leib und Kultur heruagsestellt werden. Das ist jedoch genau so verrückt wie der unverrückbare Glaube der Modesigner, dass sich in ihren Produkten Feminismus ud Weiblichkeit miteinander ausgesöhnt hätten...