Montag, 9. Mai 2011

"Die medikalisierten Körper"

Kapitel 5 aus "O'Neill - Die fünf Körper"

Wo immer mehr Wert auf die Therapie von Krankheiten gelegt wird und der Staat Gesundheitsberufe schafft, da entsteht "eine indirekt krank machende Macht, ein Gesundheit strukturell negierender Effekt. Sie [die Gesundheitsberufe] verwandeln Schmerz, Krankheit und Tod von einer persönlichen Aufgabe in ein technisches Problem und entleeren damit die Fähigkeit des Menschen, mit der eigenen Situation autonom umzugehen." ... "Verspricht man, vor allem durch Experten, eine allgemein gesicherte Gesundheit, so sind die Leute offenbar bereit, jede Phase und jede Facette ihres Lebens klinisch-stationärer Fürsorge zu unterwerfen." ... "Der medikalisierte Körper ist das Denkmal des Konsums." ... "In der Moderne greift der Staat im Namen eines therapeutischen Gesundheitsdienstes an seinen Untertanen noch viel tiefer nach ihren Köpfen und Körpern und setzt sich fest." ... "Der religiöse Mensch wurde geboren, um erlöst zu werden: der homo psychologicus wird geboren, um befriedigt zu werden."

Wie zum vorangegangenen Kapitel auch wieder einige Anmerkungen:
1.Wie schon beim zuvor thematisierten exzessiven Konsum geht es auch der Pharma-Industrie nicht darum, den Menschen gesund werden zu lassen, sondern ihn in immer größer werdender Abhängigkeit zu halten. Krankheiten zu therapieren bringt in jedem Fall größeren Gewinn durch ein größeres Abhängigkeitsverhältnis des 'Patienten' mit sich. Nicht der Kranke, sondern derjenige, der sich weigert, vorsorglich-untersuchend zum Arzt zu gehen, wird wie ein Aussätziger behandelt. Von den ganzen erfundenen psychologischen Krankheitsbildern, die als Konsequenz dazu führen, dass es gar keinen 'gesunden Menschen an sich' mehr gibt, will ich gar nicht erst reden...
2.Seit einiger Zeit schon werben Joghurt-Hersteller mit der gesund machenden Kraft ihrer Produkte. Wäre nicht ein Anfang gemacht, wenn keine Dinge mehr produziert würden, die wenigstens nicht krank machen?
3.Obamas großes innenpolitisches Projekt ist es, allen Menschen in seinem Land den Zugang zu einer Krankenversicherung zu ermöglichen. Etwas, das wie ein Segen für alle Menschen betrachtet werden könnte, ist bei genauerem Hinsehen aber auch nur ein Machtmittel des Staates, seine Bürger unter seine Kontrolle zu bringen. Warum sollte es einem Menschen nicht möglich sein, sich ärztlicher Behandlung komplett zu verweigern, wie es auch bei lebensverlängernden Maßnahmen am Ende des Lebens möglich ist? Aber nein, der Mensch muss jung und dynamisch sein, um ausbeutbar zu bleiben. Solange Bewegung nicht therapeutischen Zwecken dient, ist sie unerwünscht...
4.Erlösung und medizinische Heilung sind keine widersprüchlichen Faktoren in der Gesamtabrechnung des Lebens. Im Bedürfnis nach Erlösung drückt sich das gleiche Gefühl von Unvollkommenheit aus, wie es heute im Gesundheitswesen der Fall ist. Mit seinem Abfall aus der Natur hat der Mensch seine Sterblichkeit und Endlichkeit mit eingekauft, die er auf der religiösen Seite heute einfachhin akzeptieren soll, während er sie auf der therapeutischen Seite durch den staatlich verordneten Konsum von wirtschaftlichen und pharmazeutischen Mitteln verdrängen kann. Durch diese Polarisierung haben sie es gemeinsam in der Hand, den Menschen als von Natur aus krankes Wesen zu demoralisieren und dem Körper jede Chance auf Entfaltung zu nehmen.
5. Summa summarum bedeutet das: Sowohl das religiöse Heilsverlangen als auch die Bedürfniserweckung durch die Konsum-, die Kosmetik- und die Pharma-Industrie machen aus dem Menschen ein krankes Tier, das seinen Körper missverstehen, schwächen, entwerten, verachten und aufgeben soll. Die nicht-religiösen Methoden sind lediglich deshalb moderner, weil sie dem Menschen ein Gefühl von Souveränität und Verfügungsgewalt zurück geben, das der Mensch scheinbar verloren hatte, aber in zunehmendem Maße weiter verliert. Wo nämlich von allen Seiten auf den Körper eingeprügelt wird, ist der ganze Mensch zuletzt nur ein Spielball verschiedener Absichten, mit denen man aus abgeholzten Wäldern auf ferne Himmel blickt.

Deshalb: Lasst den Körper in Ruhe!

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