Donnerstag, 5. Mai 2011

Theologie und Körper (2)

2. Leonhard - Leiblich lernen und lehren: Ein religionsdidaktischer Diskurs

"Die Körperbesessenheit der Erlebnisgesellschaft rückt jahrhundertelanger Körpervergessenheit 'zu Leibe'. Körperkulturen enthalten Paradoxa: durch Zugriffe von Medizin und Sport ... und die ästhetische Vergewaltigung der Körper." Der Mythos der Jugend steht "im Dienst einer Weltflucht, die den bedrückenden Erfahrungen der eigenen Endlichkeit durch Schönheit und Jugend zu entkommen sucht." Die zunehmende Digitalisierung weist da in eine andere Richtung: "Die Tendenzen zur Verkörperung und Entkörperung bestehen nebeneinander." ... "Schmerz, Schmutz, Anstrengung, Hunger, Schweiß und Körpergeruch sind hier genau so wichtig wie Wohlbehagen, Lust, Entspannung, Duft und Frische. Den Körper zu kultivieren, hieße eher, ihm Sorge zu tragen, seine Prozesse und Bedürfnisse wahrzunehmen und sie zu achten, ihm Nahrung, Hygiene, Bewegung, Ruhe, Zärtlichkeit und was er sonst braucht zu geben und auch deren schmerzliche Schattenseiten als zugehörig zu begrüßen." ... "'Somit käme alles darauf an, die Schnittstelle zwischen [Körper-]Bildern und Körpern als eine des Schmerzes festzuhalten und sich nicht in die schmerzlose Dummheit einer in sich befriedeten Intelligenz einzulassen. ... Man muss heute für diese Niederlage kämpfen, auch wenn man es nicht kann.'" ... "'Die Funktion des lebendigen Leibes kann ich nur verstehen, indem ich sie selbst vollziehe, und in dem Maße, in dem ich selbst dieser einer Welt sich zuwendende Leib bin.' Zu merken ist der Leib vor allem dort, wo er dem Tun, den Projekten Schranken setzt." ... "Innere Distanz bedeutet also, dass ich nicht in meiner Leiblichkeit aufgehe, sondern als Person den Leib zu übernehmen habe, der ich als natürlicher Leib schon bin".

Auch hier wieder nur einige Hinweise:
1.Der Körpervergessenheit wird nicht zu Leibe gerückt, sondern sie geht erst richtig los: Wo die Menschen jahrtausende lang ihren Körper arbeitstechnisch einsetzen mussten, war der Körper nicht vergessen, nur schon so sehr am Limit, dass man nichts weiteres mit ihm anfangen konnte bzw. musste. Erst mit der Begrenzung der Arbeitszeit des Tages entwickelte sich Freizeit, in der man etwas unternehmen konnte. Mit dem Aufkommen der Dienstleistungsberufe wurden viele Körperfähigkeiten nicht mehr gebraucht, die Digitalisierung tut ihr übriges. Erst dadurch ist möglich, dass wir mit dem Körper etwas anderes anfangen können. Nur inzwischen haben wir schon völlig vergessen, was wir mit ihm machen können. Sport ist zwar schön, aber doch nur ein Symptom - den Körper gewürdigt haben wir damit noch lange nicht. Noch deutlich einschneidender ist jedoch die ästhetische Aufwertung bzw. Selbstverstümmelung des Körpers, die in allen früheren, archaischen Menschheitszeitaltern auch schon ausgeprägt war, welche heute jedoch als einzige Funktion des vollständig domestizierten Körpers übrig bleibt. Fitness und Ästhetik arbeiten dabei beide gemeinsam daran, den Körper als Körper zu entwerten.
2.Man sollte nicht meinen, dass man Körperbild und Körper miteinander versöhnen kann, indem man die Spannung aufrecht erhält. Man würde damit nur ein Krankheitssymptom - die bewusste Abwertung des Körpers - durch ein anderes ersetzen, da die Würdigung des Körpers erst vollkommen erreicht wäre, wenn kein Ideal mehr auf ihn wirkt. Die erhoffte Niederlage ist also nur die Verdrängung der Lösung.
3. Es kann nicht darum gehen, dem Körper alle Bedürfnisse zu erfüllen und dessen Schattenseiten anzunehmen. Denn er hat seine Schattenseiten nicht durch seine mangelnde Kultivierung, sondern gerade auf Grund der Kultivierung, der Aufladung des Körpers mit Idealen. Schmutz, Anstrengung und Körpergeruch auf der einen und Wohlbehagen, Lust und Frische auf der anderen Seite sind gerade keine Gegensätze, sondern im Wald des Warmen Regens Entsprechungen.
4.Tatsählich spürt ein körperverachtender Mensch den Leib gerade dort, wo er im Wege steht, schließlich muss er ihn immer an die unmöglichsten Orte mitschleppen. Wer aber wirklich am Körper interessiert ist, der verleiblicht sich tatsächlich selbst, der will nicht als Person den Körper in sichere Bahnen lenken - wo ja der Gist selsbt seine größte Gefahr ist-, er will sich nicht mal mit dem Körper der Welt zuwenden. Der Mensch soll nicht in der Natur aufgehen, sondern die Natur im Menschen. Die Natur ist schließlich nur dann wirklich Natur, wenn sie Lebewesen in sich hat, die das Leben in sich und um sich herum haben.

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