Freitag, 6. Mai 2011

"Die Konsumenten-Körper"

Kapitel 4 aus "O'Neill - Die fünf Körper"

"In unserer eigenen Ökonomie scheinen wir unfähig zu sein, zwischen Subsistenz- und Prestige-Ökonomie zu unterscheiden." ... "Wenn wir also nicht lernen, uns zu verweigern und Widerstand zu leisten, dann wird aus dem, was früher Selbst-Bewusstsein und persönliche Identität genannt wurde, nichts als eine Konsumenten-Fähigkeit. ... Die massivste Ausbeutung entsteht immer da, wo die Wirtschaft uns lehrt, unseren Körper in seinem natürlichen Zustand zu entwerten und ihn erst wieder aufzuwerten, wenn ihm Eleganz, Spontaneität, Lebendigkeit, Schwung, Selbstvertrauen, Gewandtheit und Frische anverkauft wurden." ... "Millionen von Konsumenten werden so bereits in ihrer frühesten Kindheit mit der Last einer angelernten Unzufriedenheit beladen." ... "In kaum einer anderen Hinsicht war das Wirtschaftssystem bei der Aufstellung von Werten und der Anpassung sich daraus ergebender Verhaltensweisen an die eigenen Bedürfnisse so erfolgreich wie bei der Formung weiblicher Einstellung und Verhaltensweise." ... Die Werbung ist voll von Menschen, "die sich recken und strecken zum Einklang mit einer Idealfigur, die sich ihnen immer wieder entzieht." ... "Man kann argumentieren, dass die sogenannte sexuelle Revolution in Wirklichkeit ein Phänomen einer sehr viel tiefer reichenden körperlichen Entfremdung ist, sofern sie Sex zur Arbeit macht und neue Sorgen produziert, etwa wegen Unersättlichkeit und Orgasmus-Häufigkeiten, oder Sex wird gar - wie eine Kaffeepause - zum Moment der Entspannung noch eiligerer Leute."

Einige Anmerkungen:
1.Konsum als Statusgut hat, wie O'Neill selbst ebenso im Text sagt, in allen Gesellschaften existiert, solange es Menschen überhaupt gibt. Mensch-Sein ist gerade das Auseinander-Fallen von Sinn und Bedeutung, von Ideal und Wirklichkeit. Heute steckt jedoch eine mächtige Industrie dahinter, die so etwas wie Befriedigtheit nur als Zwischenzustand kennt, worauf immer wieder eine zu befriedigende Unlust folgen muss. Vielleicht wäre es sogar korrekt zu sagen, dass nicht die Privatsender als solche Kinder früh verderben, sondern die gezeigte Werbung der Grund dafür ist, dass Kinder nicht mehr kreativ spielen können und wollen, sondern ihr Heil im Konsum irgendeiner Ware sehen. Das Kind macht damit in seinem persönlichen Leben genau die gleichen Evolutionssprünge durch wie die Menschheit als solche.
2.Wenn von massivster Ausbeutung des Körpers durch die Wirtschaft die Rede ist, sollte auch wieder dabeigesagt werden, dass der Körper immer schon ausgebeutet wird, sei es nun durch antrengende Lohnarbeit oder durch einen selbstverordneten Zwang zur Ästhetisierung. Wir sollen uns nicht durch ihre Produkte schön, sondern ohne ihre Produkte hässlich, wertlos, unangemessen fühlen; so empfinden es auch primitive Gesellschaften, die ihrem Körper sonstwie Schaden zufügen, um einen langen Hals oder kleine Füße zu bekommen. An der Würdigung des Körpers war der Mensch noch nie ernsthaft interessiert - und wenn doch...so kennt ihr seinen Ausgang!
3.Dass Frauen in geschätzt 80% der Werbefilme als werbende und beworbene Personen auftauchen ist kein Wunder - wie für Jugendgewalt, exzessives Trinken und Rauchen, sind sie auch für Ästhetisierung und Markendruck besonders empfänglich. Man macht sie zum Objekt, das durch andere Objekte, die die Wirtschaft an die Frau bringt, überhaupt erst zu einer ernstzunehmenden Person werden kann. Sie bleibt so lange das schwache, minderwertige Geschlecht, wie sie sich nicht durch allen möglichen Kosmetika aufgewertet hat. Das geht sogar so weit, dass es viele Frauen gibt, die sich zwar selbst im Spiegel ansehen können, aber es anderen Menschen (und damit auch sich selbst) nicht zumuten möchten, ungeschminkt auf die Straße zu gehen. Aber Verschönerung ist das Gegenteil von Schönheit und keine Steigerungsform - bei der Schönheit selbst kommt man auf diese Weise niemals an.
4.Es ist richtig, dass heute viele Leute mit ihrer Sexualität umgehen, als wäre es einerseits nichts besonderes und andererseits das Non-plus-ultra, der Höhepunkt eines jeden Tages. Die vorangegangene Tabuisierung hat dem Sex einen Mythos beigelegt, der sich auch durch die offenste Darbietung in aller Öffentlichkeit immer noch hält - man fühlt sich im Grunde jedes Mal so, als hätte man schon wieder eine (Scham-)Grenze durchbrochen. Das zeigt aber auch, dass die Scham keineswegs gewichen ist, sondern lediglich als Stimulans, als Fetisch, dient. Ich hatte schon einmal gesagt, dass es keine menschliche Gesellschaft geben kann, in der das Sexual-Tabu gefallen wäre - es ist heute lediglich in eine Bedürfnis-Befriedigungs-Logik eingespannt, der man sich gerne aussetzt, weil man ja so viel am Ende dabei herausbekommt.
5. Es kann nicht darum gehen, alle Ästhetisierung und Ausbeutung (durch die Wirtschaft) zurückzunehmen und damit wieder in die Körpervergessenheit zu verfallen, die uns viele Jahrhunderte hindurch begleitete. O'Neills Problem ist nämlich, dass er den Körper vor allem als Metapher versteht bzw. nur insofern begreift, als er durch gesellschaftliche Aspekte mit Idealen aufgeladen ist. Aber ich schrieb es bereits: Seine Abwehr der falschen Ideale alleine wäre wieder einmal eine Zunahme der körperlichen Entfremdung, da O'Neill ja doch nichts Lebendiges mit dem Körper anzufangen weiß, was wäre: Laufen, Rennen, Springen, Klettern, Essen, Trinken etc.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen