Montag, 5. September 2011

Prolog

Dieses Buch beinhaltet eine radikal neue Frage ('Wie kann man den Körper würdigen?') und ihre Beantwortung. Die Frage ist dabei im Grunde gleichbedeutend mit der Kantischen Frage, was denn der Mensch wohl sei, nur das jetzt wirklich alles mit einbezogen wurde, was den Menschen ausmacht, und nicht nur das, was der Philosoph, der Theologe, der Soziologe, der Psychologe, der Biologe usw. selbst in den Menschen hineinprojiziert haben.
Das war nämlich das ganze Problem des Körpers, dass er mit jeder Definition auf dem Rücken nach Golgotha geschickt wurde - sei es als Tourist oder als zu Kreuzigender. Niemand hörte ihn an, denn niemand wollte den eigenen Verstand verraten, der sich alles so gerne untertan macht, es seiner Natur beraubt und kultiviert.
es wird sicherlich nciht wenige geben, die in diesem Buch einen unendlichen schweren Verrat an der Zivilisation, am Denken, an den Idealen entdecken. Dabei decke ich doch lediglich eure Vorurteile auf, mit denen ihr mir sogar vorwerfen wolltet, dass ich pberflächlich sei. Aber nur, wer den Körper als Körper ernst nehmen will, hat überhaupt begriffen, welche Tragweite die Frage nach dem Körper besitzt - als die eigentlich letzte und ewige Frage der gesamten Menschheit, solange gefragt werden kann.

Nehmen wir nun an, mich fragte jemand kurz und präzise, warum ich so geworden bin wie ich bin, warum gerade den Körper als Körper erkannt habe - käme dabei etwas anderes heraus als eine erneute Passionserzählung, eine Geschichte, in der der Hauptakteur alles offenbart, wie diese Welt, in der ich noch lebe und für die ich schreibe, gut werden, gut sein kann?
Freilich, meine Menschenliebe soll nicht in einer Kreuzigung enden - aber leigt es wirklich an mir, das zu verhindern? Denn ich erzähle alles und mache mich angreifbar - zumindest ist das die Konsequenz aus meinem Handeln. Wenn jedoch das Scheitern meiner Vorstellung schlimmer wiegt als das Abgestraftwerden von Leuten, die es eh niemals verstehen, dann habe ich keine Wahl, dann muss ich mich selbst verwirklichen, dann darf ich mich selbst verwirklichen, weil mich keine Moral mehr zurückhalten kann, da er nur noch etwas zu gewinnen gibt. Und vielleicht ist das die Erklärung: Für mich gibt es nur dann etwas zu verlieren, wenn ich nciht handele!
Dann bohrt jedoch der Fragende nach und verlangt eine historische Erkörung, wie aus einem normalen Jungen einer werden konnte, der auf solch eine Art um seine Art zu leben kämpft. Und so tue ich das, was ich am besten kann: nämlich über mich selber reden.
Es war wohl mit ca. sechs Jahren, als ich vom natürlichen, kindlichen Lebensübermut gepackt wurde und auf der Hochzeit von Onkel und Tante im Gästebuch einige kreisende Striche sah, welche ich sogleich mit dem danebenliegenden Kugelschreiber nachahmte und eine gesamte Seite allein mit meiner 'Unterschrift' verzierte. Statt diese Aktion aber mit meiner Kindlichkeit zu verrechnen und darüber zu schmunzeln, war meinen Eltern mein Verhalten dermaßen peinlich, dass ich heftig dafür bestraft wurde, ohne auch nur ahnen zu können, was ich da falsch gemacht haben sollte.
Ein zweiter Akt liebevoller elterlicher Fürsorge ereilte mich, als ich einmal mit eminem Vater in der ersten Bank in der Kirche saß, als gerade Gottesdienst gefeiert wurde. Ohne großes Verständnis für das, was da an heiligen Mysterien passierte, rutschte ich hin und her und durfte anschließend am eigenen Leib spüren, dass das zu Hause keine guten Konsequenzen für mich hatte.
Auch als meine Eltern mir vorwarfen, dass ich andere Leute angeblich nicht grüßen würde, wurde mir nicht etwa gesagt, dass es doch einfach wäre, sondern ich wurde auch nur abgestraft für ein Verhalten, dass mir niemand zuvor anders beigebracht hatte.
Alle diese drei Erlebnisse, an die ich mich noch erinnere, hatten gemeinsam, dass sie eine elterliche Pflicht zum Anstand beinhalteten. Man wollte sich nciht schämen für mich, mein Verhalten fiele ja schließlich auf die Eltern zurück. Vielelicht hätte man sein Kind ja auch besser erziehen können - aber wenn jemand Erziehung mit Kontrolle verwechselt, wird er es wohl eh nicht ändern. Oder wie ich sage: Man kann seine Kinder nicht schlecht erziehen und sich hinterher beschweren, dass sie schlecht erzogen sind!
Diese Erlebnisse, gepaart mit der generellen Willkür, die in Erziehungsfragen immer wieder akut war, hatten auf meiner Seite einen riesigen Vertrauensverlust in die Gutheit der Welt bzw. meiner Eltern zur Folge. Ich hatte seit dem ersten Tag, wo ichselbst denken konnte, selbst denken musste, das Gefühl, dass ich mich nur auf mich selbst verlassen konnte. Meine Kritik war mein Selbstwert.
Das alles hätte man durchaus noch als gewöhnlich abtun können und ich wäre vermutlich auch niemals so wie jetzt geworden, jedoch gab es da ein Schlüsselerlebnis das jedem mit einer guten Vorstellungskraft den Schweiß auf den Rücken und die Tränen in die Augen zu trieben fähig ist.
Meine Eltern fuhren mit meinen kleineren Brüdern weg, ich sollte ganz allein mit meinem nur zwei Jahre jüngeren Bruder das Haus aufpassen. Zudem wurde uns untersagt, im Garten Fußball zu spielen, um keine Zweige vom noch nicht sehr stabilen Apfelbaum abzuschießen. Wie Kinder dann aber so sind, genossen wir unsere Freiheit so großzügig und schossen natürlich auch einen Zweig mit wenigen Äpfeln ab. Diesen legten wir dann auf den Krchentisch, um zu zeigen, dass wir eingesehen hatten, dass unser Verhalten dumm war, weil es schlechte Folgen hatte, und die elterliche Einschränkung sinnvoll war. Das jedoch spielte überhaupt keine Rolle bei der anschließenden 'Strafzumessung', auch der Hinweis auf unser 'Geständnis' brachte nichts. Stattdessen wurden wir noch von unserer Mutter ausgelacht, dass wir so doof waren, den Zweig auf den Tisch zu legen und ihn nicht in der Mülltonne veschwinden zu lassen.
Man muss schon ein Unmensch oder Übermensch sein, damit einen solch ein Erlebnis nicht mitnimmt. Mitnimmt in eine andere Welt, die mir nicht zu Füßen lag, sondern erst noch geschaffen und erkämpft werden musste. Von mir.
Nun aber könnte der immer noch Wissbegierige weiter wissen wollen, warum ich mit diesem Start ins bewusste Leben nicht entweder total konservativ oder total der gescheiterte Rebell geworden bin. Und so geht mein Leben weiter:
Durch diese Erlebnisse war mir klar geworden, dass ich besser sein musste als meine Eltern und es war ungefähr in der siebten Klasse, als meine Mitschüler anfingen, nicht mehr Kind sein zu wollen, sondern erwachsene Verhaltensweisen an den Tag zu legen. Es war nicht mehr en vogue, sich zu verabreden und einfach zu spielen, man wollte auch seine Persönlichkeit darbieten. Gleichzeitig entdeckte man noch seine Eigenständigkeit, was körperlich fragwürdige Verhaltensweisen anging. Man wollte nicht mehr rennen und toben, sondern lieber zusammen sitzen, abhängen, chillen und Alkohol trinken, weil man ja so erwachsen sein wollte.
Unabhängig davon, dass ich zu dieser Zeit selbst meine körperliche Unschuldigkeit verlor, hatte ich aber immerhin den Drang, es anders zu machen, da ich die langweiligen und zur Gruppenerfahrung zwingenden Argumente der Erwachsenen darin erkannte: Spätestens dort war ich nicht mehr auf einer Ebene mit den Gleichaltrigen.
Es dauert vielleicht nicht einmal bis ich 14 war, dass ich Psychologie studieren wollte, um zu begreifen, as in dieser Welt los war und warum ich so dermaßen anders denken konnte. Diese Distanz zwischen mir und den Anderen wurde mit der Zeit immer größer und richtige Antworten hatte ich nicht, außer dass ich das Gefühl hatte, ein besserer, gerechterer Mensch zu sein, der viel auf sich nehmen kann, weil er so oft aneckt.
Als ich dann statt Psychologie 'nur' Theologie studieren konnte, aber nach zwei Wochen merkte, dass das genau das richtige für mich war, war ich unendlich erleichtert und fühlte mich mit einigen Leuten aus dem Studium so wohl, dass ich dachte, das 'Fußvolk' hinter mir lassen zu können und richtig durchstarten zu können. Durch meine allererste Hausarbeit, welch Nietzsches Text vom Tode Gottes behandeln sollte, kam ich dann mit dieser radikal skeptischen Gedankenwelt in Kontakt, die mir endlich eine Antwort lieferte. Es gab keine absolute Wahrheit, die daraud abgeleitete absolute Moral war falsch, ja sogar gefährlich. Die gesamte Welt der Logik stand mit sich selbst im Wiuderspruch. Es war wie eine Erlösung für mich, endlich passte die Welt zusammen. endlich konnte ich auch Gedanken entwickeln, die radikal darauf bauten, dass kein Ideal mich erniedrigte und dass ich mir selbst der höchste Maßstab bin. Nicht nur lehnte ich nun Alkohol, Zigaretten, Tattoos und Piercings ab - ich lernte auch zu verneinen, dass Schmuck, Schminke und hohe Schuhe Sinn machen könnten. Es waren Fremdkörper, die mich selbst entwerteten und ich verlangte das höchste, als ich schloss, dass keine Selbsterniedrigung den Menschen mehr treffen dürfe.Und dann kam das Semester, in dem ich von der Neueren und Neuesten Geschichte in die Ur- und Frühgeschichte wechselt, weil ich einen Bericht im Fernsehen darüber gesehen hatte, dass das erste Gebäude der Welt nicht einfach so als Wohnhaus entstand, sondern dass die Sesshaftigkeit erst eine Folge der Fixierung des religiösen Kultesauf einen festen Platz war. Das war die Initialzündung , um den Weg des Menschen bis zurück an seinen Anfang nachzuzeichnen und zu erkennen, dass der Mensch immer schon im Zwiespalt mit sich selbst und seiner Natur gestanden hatte. Erst mit diesem Hintergrund entwickelte ich die Idee vom Wald des Warmen Regens, wo der Mensch sich nciht mehr anders orientieren will und in jedem Moment vollkommen er selbst ist. Ich hatte einen Himmel geschaffen, wo der Mensch wirklich blank war und es keine Moral mehr brauchte, um sich vor der Natur zu schützen, sondern er war endlich wieder Natur, endlich wieder Lebewesen.
Allerdings war damit immer noch kein Weg aufgezeigt, noch kein zwingendes Argument gefunden, warum dieser Regenwald so viel besser als der theologische Himmel war.
Im Bemühen ein Thema für eine theologische Doktorarbeit zu finden, kam ich immer wieder nur bei der These an, dass das christliche Jenseits fallen müsste, fallen müsste als ein pures Ideal, das einfach nicht das Wesen des Menschen richtig trifft. Es fiel mir einfach auf, dass in den Texten der Eschatologie der Körper immer nur eine untergeordnete Rolle spielte bzw. immer nur idealisiert und bereits transformiert vorkam, was mich damals fragen ließ, wie sich der Körper theologie würde ließe. Dabei entdeckte ich die Paradoxie der Würdigung des Körpers und mir war klar, dass die Theologie und ich niemals mehr einen gemeinsamen Weg beschreiten könnten. Und als ich mich auch noch im Rahmen einer möglichen Promotion mit der konkreten ausgestaltung des Himmels befasste und lediglich raumzeitliche Metaphern fand, entwickelte ich zudem den Ausdruck von der (Ver-)Ortung des Himmels (auf Erden).
Mit am aktuellsten ist die durch eine sehr gute Freundin beeinflusste Wendung dahingehend, dass ich meine Überzeugung, meine Selbstliebe nicht gegen andere benutze, sondern auch auf sie zugehe, und dass ich dem Körper jetzt schon in dieser noch zivilisierten Welt einen Platz einräume und das kindlich-übermütige Spielen für wünschenswert und möglich halte.
Theologisch versucht vor allem die Praktische Theologie, den Körper miteinzubeziehen, jedoch wird das niemals zu solch einer Würdigung führen, wie ich sie anstrebe. Wenn von der neueren Praktischen Theologie die alte Vergessenheit des Körpers bedauert und der postmoderne Körperkult kritisiert werden, und wenn gleichzeitig eine echte Würdigung des Körpers in Schule, Kirche und Gesellschaft herbeigesehnt und gefordert wird, dann übersehen diese Leute dabei, dass im Körper sowieso nur das gewürdigt werden kann, was der Geist vorher als sein Wesen in ihn hineinprojiziert hat. Und wo Gott dem Projektionsvorwurf noch mittels seiner vorzeitigen Schöpferkraft und um seiner Erkennbarkeit willen entkommen kann, wehrlos, quasi nackt da.
Diese Vergessenheit und Wehrlosigkeit des Körpers wird nun wieder zu einer intentional-mystischen Aufgeladenheit. Tatsächlich geht es nämlich darum, den Körper für religiöse Praxis zu instrumentalisieren, ihn zum Erfahrungsraum zu machen und ihn wie eh und je als ausdruck der Seele darzustellen, was aber nur funktioniert, wenn ma ndas statische Bild, das man vom Geist hat, auf den Körper übertragt. Erst dann macht es auch Sinn, sich weitere körpertheoretische Aufarbeitungen zu wünschen. Wer jedoch der Körper erst dann wirklich als Körper spüren kann, wenn er theologisch aufgearbeitet wurde, der wird den Körper, besonders seinen eigenen Körper, niemals (vom Geist) entfesseln. Zusätzlich wird durch diesen gutmenschlichen Idealismus jede spätere Diskussion um den Körper im Keim erstickt und vorzeitig abgewürgt, da man ja angeblich schon stichhaltige Hinweise darauf beitzt, was denn der Körper ist. Dagegen hilft nur noch, den Körper endgültig in Ruhe zu lassen, ihn körpern zu lassen.
So bin ich also heute der, der ich bin. Ich kann niemals mehr zurück zu der Naivität, der der die meisten Menschen zufrieden sind, weil ich klar vor augen gesehen habe, was andere nicuht einmal ahnen. Ich bin die Antwort auf die Krisis und Gewissens-Kollision, welche Nietzsche heraufbeschworen hat und die endlich gelöst ist. Und ich will niemand anderer sein als der Prophet, welcher das gelobte Land betritt, weil er das Geschenk der Natur anzunehmen weiß. - Doch wie konnte überhaupt das Gegenteil die Regel werden?

Einmal während der langen fortentwicklung des Planeten nahm das Leben eine merkwürdige und, wie wir heute wissen, höchst fragwürdige Abzweigung. Als irgendwann nämlich zufällig intelligentere tiere zusammen saßen und gemeinsam dank ihres Lebensreichtums die Muße hatten, ihren Fähigkeitenschatz zu erweitern, da erhoben sie sich über ihren vorgesehenen, vorgegebenen und zugemessenen Lebensraum. Sie besiegten die sich ihnen ohne den Schutz des Blätterdachs dargebotene Fremdartigkeit durch immer neue Kreativität, bis sie wieder in einem ruhigen Moment voller Selbstgewissheit den Blick auf das ganze richteten und zu erkennen glaubten, dass nur ein ebenso denkendes Wesen für sie und die Welt verantwortlich sein konnte. Dabei jedoch gingen sie so weit, dass sie ihre eigentliche Herkunft verleugnen mussten. Sie konnten und - hier hat bisher keine weitere Entwicklung stattgefunden - können nicht anders, als den Körper für Kultur und Rausch sowie die Schönheit für die Verschönerung zu opfern und nachwie vor aus selber abgeholzten Wäldern auf ferne Himmel zu blicken.

Doch dieses Buch soll anders werden und helfen, dass aus Opfern Ex-Opfer werden. Unverhoffterweise kommt mir dabei sogar noch Wittgensteins Kritik am philosophischen Metaphysizieren zur Hilfe, wo ich einfach nur Sprache/Denken/Philosophie durch Körper/Kultur bzw. Schönheit/Verschönerung ersetzen muss, um eine eindrucksvolle Bestätigung meiner eigenen Kritik zu finden. Dies hat zwar keinen Wert für die konkrete Ausformulierung dessen, was der Wald des Warmen Regens ist, aber was könnte jetz tauch noch anderes kommen als eine immer wieder neue Besiegelung dessen, was zumindest für mich einfach feststeht?!

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