Montag, 17. Mai 2010

Sprüche (6)

Die Paradoxie unserer Einstellung zum Körper, als die eigentliche Paradoxie unserer Kultur, scheint in folgender Frage auf: Wie kann ich meinen Körper würdigen? (Würde ich einen Versuch der Würdigung machen, so hätte ich den Körper immer wieder auf einzelne Erscheinungsmomente meines ansonsten beseelten Lebens reduziert und ihn nie für sich genommen. Die einzig mögliche Würdigung könnte darin liegen, den Körper gar nicht mehr zu würdigen und der geistigen Sphäre hier keinen Zugriff mehr zu erlauben. Aber auch diese Verweigerung ist noch ein geistiger Prozess, sodass sogar noch die Möglichkeit der Würdigung oder der Verweigerung der Würdigung abgeschafft werden müsste, bis der Körper wieder er selbst sein darf.)

Evolution als Downgrade: Gegenüber den Affen haben wir nicht zwei Hände gewonnen, sondern zwei Hände verloren. (Wenn man den Schwanz noch hinzurechnet, haben wir sogar drei Hände verloren; nimmt man sogar noch unsere degenerierte Mundform hinzu, die nur noch das zerbeißen kann, was unsere Hände in ihn hineinschieben, dann haben wir vielleicht sogar eine vierte Hand verloren. - Was haben wir dafür gewonnen?)

Einst glaubte ich dem von anderen Menschen Gesagten immer die bestmögliche, menschenwürdigste Interpretation abgewinnen zu können, dann wiederum glaubte ich, mich immer so klar ausdrücken zu können, dass keinerlei Zweifel mehr an der Gutheit meiner Aussagen bestehen könnten; heute will ich eine derartige Welt, die weder eines exakten Ausdrucks noch einer Auslegung bedarf: Wald des Warman Regens. (Mein früheres Ziel war eine für alle Menschen optimale Rechtfertigung des Lebens und ich habe im Immer-strenger-nehmen der Frage nach Rechtfertigung nur entdeckt, dass es keine gründliche Rechtfertigung geben kann: "Des Übermenschen Schönheit kam zu mir als Schatten.")

Ein Dozent sagte, dass es in ethischen und politischen Fragen eigentlich immer nur darum geht, sich so wenig wie möglich aus der Deckung zu wagen und dem Gegner immer die Beweislast unterzuschieben. (Dazu gibt es eigentlich kaum noch was zu sagen, außer dass ich die Verbitterung bei meinem Dozenten über diese tollkühne Behauptung nicht spüren konnte. Aber vielleicht liegt die Beweislast in der Frage nach der Wahrheit und der Verbitterung auch gar nicht bei den Philosophen, den stillen Beobachtern per definitionem...)

Gefangenendilemma reloaded: Wenn sich zwei Menschen online kennen lernen, wäre es für beide eine win-win-Situation, wenn sie ehrlich wären und keine Scheu voreinander hätten - aber der Unsicherheitsfaktor, dass der andere nicht ehrlich sein könnte, macht es für beide rational, erst einmal misstrauisch zu sein und nicht gleich alles von sich preiszugeben. (Ich dagegen muss mich betrügen lassen, um nicht auf der Hut sein zu müssen vor Betrügern.)

Ich tue so, als wäre ich ein Lebewesen, und klettere auf einen Baum; die Widerstände, die mir daraufhin entgegen gebracht werden, sind: Unfähigkeit, Angst und moralische Beschämung. (Wahrlich, auf dieser Trias ist unsere ganze Kultur gegründet und das, was wir als sozialen Fortschritt feiern, ist zuletzt nur eine Umdeutung dieser Worte hin zu einem "lebenswerten (=behindertengerechten) Leben".)

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