Freitag, 12. November 2010

Die Abschaffung der Freiheit

Ein gestriges Erlebnis in der Uni-Biblitothek der Geschichte hat mich echt an der Vernunft der Menschen zweifeln lassen. Dabei stieß mir nicht nur dieses Ereignis sauer auf, sondern auch die anschließenden Bewertungen meiner Wertung.
Was war geschehen? Ich wollte, wie so oft, die Computer der Bilbliothek benutzen. Ich stellte meinen Rucksack und meine Jacke vor der Pforte ab und nahm Zettel, Stift und Butterbrot in meine Hand. Zum allerersten Mal kam die Aufsicht der Pforte hinter mir her und ging mich ganz energisch an, doch mit dem Brot nach draußen zu gehen, da es doch verboten sei hier zu essen. Mir wollte schon ein: "Soll das 'ne Anmache sein?" herausrutschen, aber ich hatte mich so weit unter Kontrolle, dass mir nur ein "Das ist jetzt ein Scherz, oder?!" entwischte, wohlwissend, dass sie es tatsächlich ernst meinte. Ich wollte dann noch damit argumentieren, dass es ja keine Tüte Chips sei, sondern nur ein Brot, aber sie ließ sich nicht beirren, so dass ich widerwillig mitging und erst 20sek später wieder hineingehen durfte. Dabei überkam mich irgendwie das Gefühl, dass diese Aufsicht noch einige Tage zuvor am Castor festgekettet war und heute wieder zur Hüterin des Gesetzes mutiert sei. Diese absurde Situation erzählte ich einigen Leuten weiter, die allerdings großteils das Verhalten der Aufsicht als richtig beurteilten und mich dafür ermahnten, dass ich mich darüber auch noch aufregen würde.
Dass man natürlich potenziell etwas hätte beschädigen oder dreckig machen können, sehe ich natürlich ein - aber dass man daraus ein Gesetz formulieren muss, das dann auch noch strikt kontrolliert wird, erschließt sich mir eher weniger. Selbst wenn es in der Entscheidung des Einzelnen liegen würde, was man in die Bibliothek mit hinein nehmen dürfte, so könnte man doch erwarten, dass niemand ein Bier oder Apfelsaft bzw. einen Döner oder Pommes-Currywurst mit in die Bibliothek nehmen würde. Muss man denn gleich wegen einzelnen Idioten ein Gesetz erlassen und damit die Freiheit Aller einschränken? Würde eine Regel, die man aus vernünftigen Gründen befolgt, nicht viel viel mehr bringen als ein Gesetz, dem man nur äußerlich gehorchte?
Ein Beispiel aus dem Straßenverkehr ist dies von der Geschwindigkeitsbeschränkung auf Straßen. Zwar führen rigide Tempolimits auf Straßen natürlich zu weniger Toten und Verletzten, allerdings nimmt damit auch die Fähigkeit der Autofahrer ab, die Straßenverhältnisse nach eigenem Ermessen richtig einzuschätzen. Die schon immer geltende Regel, dass man sein Tempo den gegebenen Straßen- und Sichtverhältnissen anpassen muss, wird mit immer weitergehender Beschilderung somit ab absurdum geführt. Oft hört man jedoch davon, wie über Raser und Rowdies auf unseren Straßen gemeckert wird und vernimmt den Satz: "Ich verstehe nicht, warum an dieser Stelle kein Tempolimit existiert." Statt also die Umsichtigkeit der Autofahrer einzufordern, verlangt man lieber nach neuen Gesetzen. Man traut den Gesetzgebern also mehr Vernunft zu als den einzelnen Menschen. Und wenn aktuell zudem darüber debattiert wird, ob man den Kindern von Arbeitslosen zu mehr Bildung verhelfen soll, indem man einfach mehr Geld zahlt oder ob man Bildungsgutscheine herausgibt, dann ist das genau die Frage, wie viel Vernunft der Staat seinen Bürgern zutraut.
Als 1789 die Französische Revolution auf den Grundsätzen Freiheit - Gleichheit - Brüderlichkeit fußte, da waren die Gesetze vor allem dazu da, die Freiheitsrechte des Menschen zu garantieren, denn Moralität und Anstand waren sowieso schon vorhanden. Mit der Entstehung überfürgsorglicher Gesetze ist allerdings gleichzeitig der Verlust der moralischen Urteilsfähigkeit verbunden, so dass nach beständiger Relativierung und Aushöhlung unserer Werte irgendwann der Punkt erreicht ist, wo der Staat beginnt, seine Bürger vor ihrer eigenen Dummheit zu beschützen.
Und das schlimmste ist: Wir in Deutschland sind inzwischen nach zwei totalitären Systemen auf eigenem Boden schon wieder dabei, unsere Freiheiten abzuschaffen. So paradox es auch klingt: Die vermeintliche Befreiung von gesellschaftlichen Tabus durch die 68er hat lediglich dazu geführt, dass wir das durch Gesetze wieder reinholen müssen (und sogar wollen!), was uns unsere Sittlichkeit nicht mehr vorgeben kann. So wie sowohl die Nazis als auch die Kommunisten ihren Faschismus damit begründet haben, dass sie durch Gesetze den Anstand entweder wieder herstellen oder erst neu schaffen müssten, so sind auch wir auf dem Weg zu einem neuen Totalitarismus, nur in einem noch viel schlimmeren, engmaschigeren Sinn, als wir es uns jemals vorgestellt haben. Die unüberwindliche, mit allem bisherigen unvergleichlichen Diktatur wird genau dann erreicht sein, wenn wir es uns gar nicht mehr anders vorstellen können und unsere arme, werteschaffende Vernunft verkümmert ist; wenn sie hilflos mit dem Rücken auf dem Boden liegt und sich sagt: "Aller Wert ward schon geschaffen, es soll kein 'Ich will!' mehr geben." - Gegen diesen gewissenlosen Gesetzesgehorsam wäre selbst der Islam der Himmel auf Erden...

Fassen wir zusammen:
Die Gesetze sollen für den Menschen da sein und nicht umgekehrt; sie sollen die Freiheiten des Einzelnen bewahren und nicht verhindern. Daher sollte eine Verfassung auch vor allem aus Rechten und weniger aus Verboten bestehen.
Eine Herdprämie ist genau so abzulehnen wie Bildungsgutscheine für Arbeitslose(, ganz abgesehen davon, dass Bildung keine Sittlichkeit ersetzt, sondern im besten Falle zur Sittlichkeit führt - aber dafür ist der von der Regierung gewünschte Bildungsbonus wohl zu sehr Ausbildungsbonus). Ein Burka-Verbot macht auch nur genau so lange Sinn, wie jemand gezwungen werden kann, eine anzuziehen; danach ist es so überflüssig wie jetzt im Grunde schon das Verbot von Tempolimits. Ein Integrationskurs...
Wer schon im Kleinen (wie ich in der Bibliothek) den Gesetzen vor der Sittlichkeit Recht gibt und dem Werteverfall damit Vorschub leistet, der darf sich im Großen nicht wundern, wenn er in der Demokratie einschläft und in der Diktatur wieder aufwacht.
Freiheit ist ein Wagnis und sie wird immer von denjenigen abgeschafft, die den anderen weniger vernünftige Sittlichkeit als sich selbst zutrauen und nicht merken, dass ihre eigene Sittlichkeit dabei Selbstmord begeht.

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