Montag, 18. Juni 2012

Die (Ver-)Ortung des Himmels (theologisch)

Es gab in der Katholischen Theologie einmal eine Zeit, als der Mensch von Natur aus sündig und zugleich unfähig war, aus eigener Kraft dieser Vergeblichkeit seines Lebens zu entfliehen. Das Dieseits war dem Vergehen preisgegeben und der Himmel war der Ort des Ewigen und Vollendeten.
Dann aber kamen die Religiosnkritiker und haderten mit der Unterbewertung des Diesseits von Seiten dieser dualistischen Theologie. Die Zeiten änderten sich, Aufklärung und Wohlstand machten sich in der westlichen Welt breit und selbst die Katholische Kirche hatte sich - einerseits durch die in Mord und Totschlag endenden, verhängnissvollen Irrfahrten der an die Macht gekommenen Links- und Rechtstotalitären und andererseits durch den nun wieder demokratischen Fortschrittsoptimismus - auf die Fahnen geschrieben, diese Welt in ihrem reinen Dasein positiv zu bewerten und sich für das Heil der Menschen bereits in dieser Welt zu interessieren.
Die eindeutige Übertreibung der innerweltlichen Hoffnung, trotz 100%iger Sterblichkeitsrate des Menschen, führte theologisch dazu, dass man in der Bibel fortan nur noch die Stellen las, welche auf ein gutes Leben in dieser Welt hinweisen, auf das Anbrechen des Gottesreichs im Hier und Jetzt, vom Beginn der Erlösung mit dem Kommen Christi etc. etc. - Leider unterschlug man in der Folge alles, was vom (irrationalen) Zorn Gottes, von den Gerichtsankündigungen Jesu oder gar seinem Kreuzestod berichten konnte.
Kluge Theologen erkannten natürlich, dass eine reine innerweltliche Erlösungshoffnung biblisch nicht haltbar ist, also nahm man diese Welt nunmehr einerseits als Vorwegnahme und Vorbote des Himmels und andererseits als nachzuzeichnende Spur, als Prozess des Erlöstwerdens hin zum göttlichen Erlöstsein. Endlich hatte man den passenden Weg gefunden, die scheinbar widersprüchlichen Ansprüche einer staurologischen und einer eschatologischen Soteriologie zusammen zu denken.
Heute gibt sich die Theologie über sich selbst weitestgehend aufgeklärt: Man weiß von der radikalen Differenz Gottes zu unseren Aussagen über ihn und preist die eigene Theologie als "negativ". Indem man auf eine raumzeitlich-verobjektivierende Eschatologie verzichtet, gewinnt man endlich den metaphorischen Blick zurück, welcher mit Begriffen wie Paradies, Hochzeit, Himmel die zu erwartende Lebensfülle ausdrückt, und betont im Sinne der Nähe Gottes vor allem seine Personalität.
Konsequent zu Ende gedacht, führt das allerdings lediglich dazu, dass unsere Probleme bezüglich der Konkretion des Himmels nur verschleiert statt gelöst werden: Denn wir wollen Gott doch wenigstens zugestehen, dass er tatsächlich vollständig für Erlösung sorgt und unsere Grenze, den eschatologischen Vorbehalt, überschreitet, damit wir ihn überschreiten können. Es ist hart für alle, die diese Welt sehr erträglich finden, zu hören, dass unser negativer Versuch, das Gottesreich unter einem Vorbehalt zu denken, selbst noch keine Vollendung verbürgt und zum bloßen Selbstzweck statt zum eigentlichen Ziel aller Erlösung mutiert, wenn man den radikalen Abbruch dieses Lebens unbetont lässt. Es könnte nämlich sein, dass da, wo wir uns Gott am nächsten wähnen, vielleicht der Ort der größten Gottesferne ist. - Negative Theologie, die die konkreten, physischen Begrifflichkeiten bezweifelt und allein der personalen Metaphorik vertraut, ist immer auch ein Symptom einer wohlgenährten, saturierten, dekadent gewordenen Theologie.
Was gilt es also zu tun, wenn man dem Wert der negativen Theologie sowie der rein metaphorischen Sprechweise misstraut und sich gleichzeitig zutraut, mehr über Gott und sein Reich zu sagen als hilfloses Gestammel? - Man muss die gesamte Eschatologie darauf hin untersuchen, wo es raumzeitliche Elemente gibt, die an Gehalt verlieren, wenn man sie als reine Metaphern auslegt. Körper, Fegefeuer, Materie, Himmel, Hochzeit, Festmahl, Paradies, neues Jerusalem, Leibhaftigkeit der Auferstehung sollte fast schon das gesamte Spektrum abdecken.
Außerdem sollte man sich klar machen, dass wir hinsichtlich der Selbstoffenbarung Gottes doch aus gutem Grund immer wieder betonen, wie sehr Gott sich selbst mitteilen wollte. Dann verweisen wir darauf, dass Gott sich nach allem Rücken-Zuwenden endlich offen gezeigt hat und der Mensch endlich gewisse Kenntnis über Gott haben kann. Oder es wird doch wieder betont, dass auch diese Offenbarungen selbst noch wieder Teil einer Überlieferung sind und das Erkenntnisvermögen des Menschen selbst noch Zweifel aufwirft und wir auch diese "absolute Erkenntnis" negativ theologisch bewerten sollten. Dazu muss aber gesagt werden, dass ersteres darauf verweist, dass tatsächliche unbezweifelbare Erkenntnis über Gott möglich ist und man somit auch in der Frage des Himmels nicht vor unlösbaren Problemen steht. Letzteres dagegen muss kritisiert werden als falsche Form des Zweifelns, da es auch dazu führen könnte zu sagen, dass wir Gott auch negativ theologisch letztlich gar nicht nahe kommen können. Die negative Theologie trägt hier also den Keim der Selbstaufhebung in sich.
Um Gott und dem Menschen gerecht zu werden, sollte also nicht nur die Menschwerdung Gottes für selbstverständlich erachtet werden, sondern auch die Gottwerdung des Menschen, wenn das Sich-Zeigen Gottes wiederum nicht nur Verwirrung unter den Menschen stiften wollte.
Nötig ist daher eine konsequent vorangetriebe (Ver-)Ortung des Himmels mit allen Mitteln der Vernunft, die bisherige Denkverbote umschifft und sich wieder aus der Deckung wagt. Damit kann man vielleicht einen größeren Gewinn erreichen, als wenn man dogmatisch immer nur vor zu starken Dogmen warnt. Jesus selbst warnte in einem Gleichnis bereits davor, aus Angst vor einem Scheitern gar nichts zu tun.
Mt 25,14-30
(14)Denn es ist wie mit einem Menschen, der außer Landes ging: er rief seine Knechte und vertraute ihnen sein Vermögen an; (15)dem einen gab er fünf Zentner Silber, dem andern zwei, dem dritten einen, jedem nach seiner Tüchtigkeit, und zog fort. (16)Sogleich ging der hin, der fünf Zentner empfangen hatte, und handelte mit ihnen und gewann weitere fünf dazu. (17)Ebenso gewann der, der zwei Zentner empfangen hatte, zwei weitere dazu. (18)Der aber einen empfangen hatte, ging hin, grub ein Loch in die Erde und verbarg das Geld seines Herrn. (19)Nach langer Zeit kam der Herr dieser Knechte und forderte Rechenschaft von ihnen. (20)Da trat herzu, der fünf Zentner empfangen hatte, und legte weitere fünf Zentner dazu und sprach: Herr, du hast mir fünf Zentner anvertraut; siehe da, ich habe damit weitere fünf Zentner gewonnen. (21)Da sprach sein Herr zu ihm: Recht so, du tüchtiger und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude! (22)Da trat auch herzu, der zwei Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, du hast mir zwei Zentner anvertraut; siehe da, ich habe damit zwei weitere gewonnen. (23)Sein Herr sprach zu ihm: Recht so, du tüchtiger und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude! (24)Da trat auch herzu, der einen Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, ich wußte, daß du ein harter Mann bist: du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast; (25)und ich fürchtete mich, ging hin und verbarg deinen Zentner in der Erde. Siehe, da hast du das Deine. (26)Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm: Du böser und fauler Knecht! Wußtest du, daß ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nicht ausgestreut habe? (27)Dann hättest du mein Geld zu den Wechslern bringen sollen, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine wiederbekommen mit Zinsen. (28)Darum nehmt ihm den Zentner ab und gebt ihn dem, der zehn Zentner hat. (29)Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden. (30)Und den unnützen Knecht werft in die Finsternis hinaus; da wird sein Heulen und Zähneklappern.
--- Diese, meine Frontstellung zwischen Himmel und Erde musste ich so aufbauen, weil mir nichts unerträglicher war als eine die Wirklichkeit halbierende, sich selbst nicht ernstnehmende, weichgespülte christliche Innerweltlichkeit, die auf der einen Seite das Ganz-Andere nicht mehr wahr-haben will und auf der anderen Seite die Zeichen der Zeit nur noch mitvollzieht, ohne sie auch nur ansatzweise zu reflektieren. Ich nahm Gottes einzigartiges Erlösungshandeln explizit gegen die menschliche Selbstanmaßung, immer zu wenig zu können und sich damit gut zu fühlen, in Schutz. Heute ist mir noch klarer geworden, welches Konfliktpotenzial darin steckt, wenn man, so aufgeklärt wie man ist, darauf besteht, sowohl den faktischen als auch den erlösten, vollkommenen Menschen so gut wie möglich darstehen lassen zu wollen; schließlich muss man immer gegen seine Neigungen entweder die Nähe von Himmel und Erde betonen oder andererseits gegen seinen Willen den Dualismus verteidigen. Genau diesem Dilemma jedoch entgeht der Wald des Warmen Regens, wenn er - ohne explizit kultur- und geistkritisch werden zu müssen - das optimale, eigentliche, körpernde Leben als hier auf der Erde möglich durchbuchstabiert und sich radikal am Erfolg messen lässt.
Nichtsdestotrotz wäre es der Theologie zu wünschen, wenn sie einen Don Quichote hätte, der es versuchen könnte, die (Ver-)Ortung des Himmels auf die Spitze zu treiben und erst nach einer Reihe von Verdiensten um die Reinigung der Eschatologie vor die letzte Wand zu stoßen, die sich beim Körper bzw. der Leiblichkeit der Auferstehung auftut. Ich kann das nicht.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen