Montag, 15. Februar 2010

Dem Menschen-Tiere ein Gedächtnis

"Wie macht man dem Menschen-Tiere ein Gedächtnis? Wie prägt man diesem teils stumpfen, teils faseligen Augenblicks-Verstande, dieser leibhaften Vergeßlichkeit etwas so ein, daß es gegenwärtig bleibt? ... Man brennt etwas ein, damit es im Gedächtnis bleibt: nur was nicht aufhört, wehzutun, bleibt im Gedächtnis."

Wenn wir von gegangenen Dingen sprechen, dann tun wir das, je näher sich die Ereignisse an der Gegenwart bewegen, umso differenzierter.
Wenn wir etwas reden, worüber wir uns gefreut haben, dann fällt das bei den aktuellen Ereignissen sehr differenziert aus. Da war man nicht im Kino, sondern da gab es diese eine bestimmte Szene; da war man nicht feiern, sondern da gab es diese eine spezielle Situation, man war nicht wandern, sondern ganz oben auf dem Gipfel hatte man einen ganz besonderen Moment.
Wenn wir jedoch über unsere Kindheit erzählen, dann machen wir das sehr viel pauschaler. Dann war man auf dem Fußballplatz, schaukeln oder Schlitten fahren. Da gab es keine besondere Höhepunkte, sondern man erlebt alles gleichmäßig wie aus einem Guss. Noch weiter zurück in die Zeit, wo wir uns gar nicht mehr erinnern, kommen wir eben nicht. Da gibt es kein Gedächtnis im eigentlichen Sinne, weil wir noch keinerlei Differenzierung in der Welt wahrgenommen haben, wir bewegten uns da noch "jenseits von gut und böse".

Kurzum: Alles das, woran wir uns erinnern können, beruht auf der Entgegensetzung von gut und böse. Selbst das, wovon uns als Kleinkindern eingeredet wurde, dass wir es gut zu finden haben ("Ui, ist das nicht großartig/ schön/ toll?") legt noch die Richtschnur dafür aus, dass wir einst verantwortungsbewusste Menschen werden - dass wir wissen, was gut und böse ist. Schließlich müssen und wollen wir jedoch unser Gedächtnis trüben, damit wir nicht merken, auf welchem Untergrunde unser ganzes Gedenken fußt.
Ich jedoch - kann nicht mehr zurück. Ich, als einer, der durchschaut hat, dass jede Trübung oder Verschönerung noch mehr von meiner Bejahung des Lebens wegführt, muss mehr wollen, muss die Unmöglichkeit unseres gesamten Denkapparates erweisen, jemals ohne Betäubung der Zweifel ein gutes Gewissen über sein Dasein erlangen. Deshalb nämlich muss und kann der Mensch, wenn er die materiellen Symptome unserer Kultur abgebaut hat, als finalen Akt noch das Denken loswerden, auf dass sich das Denken nie mehr selbst ein Bein stellen muss, indem es befiehlt, dass früher alles besser war, dass in einer fernen Welt alles besser wird oder gar dass Vorfreude doch sowieso die größe Freude ist.

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