Dienstag, 9. Februar 2010

Von mir

Als ich als Anfang und Ur-sprung und Schöpfungsakt vor aller Erfahrung meine Entschei-dung für mich traf, da wählte ich das erste und letzte Mal frei, es war die unmittelbare und unvermittelbare Entscheidung, das Vorurteil, der Vertrauensvorschuss und Geltungsanspruch für mich oder für ein Nicht-Ich. Es war meine Entscheidung, wer für die Schöpfung zu verantworten sei; und ich entschied mich für – mich. Dies ist der Punkt in meinem Dasein, an dem sich das Dasein selbst entscheidet. Denn wie könnte ich gerade jetzt ein Nicht-Ich realer nehmen - als mich selbst? Müsste ich mich nicht längst schon bei mir über mich selbst entschieden haben, bevor ich über andere Dinge entscheiden könnte: erster Sieg.

Wie könnte ich einen hyperrationalen Gott als das Erste aller Wirklichkeit wahrnehmen? Wohl doch nur, wenn ich selbst schon da bin; ich selbst bin be-gründender Schöpfer und Schöpfung und Erstgeborener der Schöpfung: zweiter Sieg.

Wie könnte ich den Tod Gottes mit einer objektiven oder mit einer irrationalen Welt, einem ‚Nichts’, überwinden? Hätte ich nicht wieder einen wi(e)dervernünftigen Grund an die Stelle Gottes gesetzt? Ich kann die Welt ja erst dann wahrnehmen, wenn ich schon ‚in’ der Welt bin; ja, bedeutet Weltwahrnehmung nicht gar, dass die Welt in diesem Moment nirgendwo anders ist als in mir? Daher störe ich mich auch nicht daran, dass mir die Welt oftmals widerspricht; denn ich ent-wickle die Welt ja gerade erst durch mein Ungleich-Setzen des Ewig-Gleichen. Selbst die schlechteste aller möglichen Welten ist demnach immer nur als meine Welt denkbar, ein mögliches Fatum auch immer nur als mein Fatum: dritter Sieg.

Wie könnte das Leben realer sein als ich selbst? Kann ich das Leben nicht erst dann wahr-nehmen, wenn ich schon am Leben bin; ohne mich kann ich mir das Leben nicht vorstellen; das Leben ist immer nur als mein Leben verständlich: vierter Sieg.

Wie könnte die Logik realer sein als ich selbst? Was beim logischen Urteil in mir geschieht, geht deutlich über das hinaus, was manch einer als Bedingungen der Möglichkeit ansieht. Es steckt demnach sehr viel Logik dahinter, wenn Trinker oder Kiffer ihren Horizont erweitert glauben, indem sie sich von einer himmelhohen Wassersäule in ein knöcheltiefes Meer verwandeln. Aus den besten Gründen folgt eben doch die beste Überzeugung: fünfter Sieg.

Wie könnte die Vergangenheit realer sein als meine Gegenwart? Erinnerung, verstanden als meine Vergangenheit, ist in jedem einzelnen und ewigen Moment immer wieder Projektion  aus meiner gegenwärtigen Realität. Wenn ich schließe, dass ich nur aus Genen und einer sozialen Umwelt bestehe, muss ich für diesen Schluss ja schon lange ich selbst sein. Von der Vergangenheit kann ich keine unvermittelte Wahrnehmung haben, deshalb ist sie jedes Mal aufs Neue meine höchst aktuelle Fiktion; sie bekommt erst dann Raum im Denken, wenn sich die Kraft zur Schaffung der Gegenwart aus dem ‚Nichts’ abgeschwächt hat: sechster Sieg.

Wie könnte mein bewusstloser Schlaf realer sein als ich selbst? Denn ich wache nach dem Einschlafen direkt wieder auf, wenn ich nicht träume; mein Traum aber kommt nicht ohne mich als Träumenden aus und die wache Wirklichkeit nicht ohne meine tragende Präsenz. In einem Traum bewältige ich nicht die Vergangenheit, stattdessen ist er ein Wink frühreifer Gegenwart. Denn im ‚Schlaf’ sammelte ich höchstens wie ein Embryo elektrische Spannung und noch in mir schweigende Unerbittlichkeit an, die beim Aufwachen Geburt und Urknall in einem sind, wodurch ich die Wirklichkeit mit meiner Denkbarkeit und Wünschbarkeit schaffe. Das Unbewusste und die logisierten, fixierten Dimensionen der Welt selbst konnten eben nur deshalb so überwältigend gedeutet werden, weil beides auf dem gleichen Irrtum der Fremdbestimmung und Fremdbe-gründung basiert: siebter Sieg.

Wie könnte mein möglicher, antizipierter Tod realer sein als ich selbst? Er ist ein radikales Vorurteil; denn wenn ich im Leben bin, kann ich von ihm keine Erfahrung machen. Ich kann nur mein Leben er-leben; wäre ich tot, so hätte ich immer noch keine Erfahrung von ihm, weil ich für diese Erfahrung immer noch leben müsste; die Welt würde in mir untergehen, aber nicht ich in der Welt; aber solch ein Moment ist wieder eine antizipierte Fiktion: achter Sieg.

Wie könnte ich andere Menschen mir gegenüber realer oder zumindest gleichwertig nehmen? Es ist auch hier ein fatales Vorurteil, dass die anderen so viel ‚Subjektivität’ besitzen wie ich selbst. Mit der objektiven Wahrheit ist nämlich auch die subjektive abgeschafft. Wo ihr noch von Subjektivität und Individualität und Relativität redet, da sage ich einfach nur – ich. Es ist mein Akt höchster Selbstbesinnung der Menschheit – von mir – und der höchste gesunde Menschenverstand, aber – oder deshalb – eben kein common sense: neunter Sieg.

Wie könnte mir die Natur vorgeben, wie ich leben und denken soll; naturalistischer Fehl-schluss. Wie könnte mir eine göttliche Natur vorgeben, wie ich leben und denken soll; supernaturalistischer Fehlschluss. Aber in jedem meiner Schlüsse steckt sehr viel mehr selbst-behauptende Präskription als Deskription: So und so sehe ich es. Deshalb ist es so und so von Natur aus. Und deshalb soll es so und so sein, wie ich es sehe und wie es von Natur aus gedacht und gewollt ist; hypernaturalistischer (Fehl-)Schluss: zehnter Sieg.

Wie könnte meine Sprache mir selbst und den Dingen unangemessen sein? Begreift der Sprechende sein Gedachtes etwa erst, nachdem er seinen ausgesagten Satz gehört hat? Um so sprechen zu können, müsste ich von einem außersprachlichen Standpunkt bestimmen können, was Unangemessenheit bedeutet, so dass ich keinerlei Gründe dafür habe anzunehmen, dass es eine Dissonanz zwischen dem Gedanken, dem Begriff und dem Ding selbst gibt; ich kann ja kaum anders über ein Ding sprechen als wie ich über es denke und urteile. Jeder schaffende und geschaffene Gedanke geht als primäre Welterfahrung dem Sprechen voraus, jedwede Wortschöpfung ist gleichzeitig eine realisierte Privatsprache: elfter Sieg.

Wie könnten die Rollen und die erzählten Geschichten, in denen ich im ewigen, einzelnen Moment vorkomme, schon alles sein, was ich bin? Daraus erwächst ja gerade meine sich immer neu übersteigende und neu einholende Selbstliebe, dass ich immer einen Überschuss an mir und in mir habe, der über das hinaus geht, was andere über mich erfahren können und sogar, was ich selbst von mir weiß. Ich bin nicht behaviouristisch verkürzbar, unter fremde Welt-Formeln subsummierbar oder in neuronale Systeme integrierbar: zwölfter Sieg.

Leben ist der Geist, welcher in meinen Geist schneidet: an der eigenen Vergewaltigung mehre ich mir das eigene Wesen. Mein Geist möge bei sich selbst sein und am Leben bauen, nicht das Leben am Geist; ich weiß, dass mein Geist Berge und Täler versetzt, all zu oft allerdings versetzen und entsetzen Berge sich selbst fremde Geister. Nur wer bei sich selbst ist, kann über sich hinaus wollen statt hinweg. Ja, nur was bereits entstellt ist, kann sich auch entstel-len; Verschönerung ist das Gegenteil von Schönheit, nicht ihr Superlativ; diesseitiger Trost also ebenso die Potenzierung des Blödsinns des metaphysischen Trostes: dreizehnter Sieg.

Wird das Spielerische also den Ernst des Lebens abschaffen? Ich erschaudere immer wieder vor dieser unerschöpflichen Vielfalt der kindlichen Lebensbejahung. Ohne Ahnung von Ver-gangenheit und Zukunft, ohne Ahnung von Freiheit und Schönheit, zieht das Kind in mir mit göttlicher Allpotenzialität dies und alle positiven Kontingenzen in diesem Punkt der Wirk-lichkeit zusammen, um sich gleichsam wieder in der Wirklichkeit in die Wirklichkeit zu ver-sprühen. Niemals käme da das Gefühl auf, dem ewigen und einzelnen Moment hilflos ausge-liefert zu sein; denn ich ‚besiege’ Leiden nicht mit Trost oder Vergessen, sondern mit neuem Schöpfermut. Stattdessen ist und wird ja in mir jedwede Abstraktion höchste Konkretion. Es ist gerade meine Reife, dass ich werde, der ich bin. Mein Spiel ist nicht gespielt und deshalb keine Flucht vor der Wirklichkeit, sondern des Lebens höchster Ernst: vierzehnter Sieg.

Bin ich eigentlich widerlegt, sobald mich die aus mir und nach meinem Abbilde für die Welt geschaffene Eva versteht? Im Gegenteil, im Gegenteil! Wenn Kontinente und Galaxien und ganze Welten auf einander prallen und ich nur noch ein Sandkorn weit vom Rauswurf aus dem Paradies und somit von der Tyrannei einer fremden Menschheit oder Gottheit entfernt bin, kommt gänzlich unmittelbar und unvermittelbar der Glockenschlag des Mittags und der Moment der großen Entscheidung, der Augenblick des kürzesten Schattens, das Ende des längsten Irrtums und der entleertesten Symbole, der Höhepunkt der Menschheit, mein sintflutartiges und fragwürdigstes „Ich – und nichts außer-dem“: letzter und erster Sieg.


Ergänzung zu 7: Ein Traum ist ein Gedanke, dem die Wahrnehmungen fehlen. Im wachen Zustand habe ich also Träume, die allerdings von den Wahrnehmungen überdeckt werden. Daher wird es wohl Zeit weniger schlecht von Tagträumereien zu denken, durch die ich meine Wahrnehmung abschließe und den Traum als Wahr-gebung zulasse. Nun will ich niemals mehr behaupten, dass Gedanken nur Wahrnehmungen verarbeiten; eher sollte ich nur die Dinge in den Dingen wahrnehmen wollen, die ich selbst in sie hineingeträumt habe – Ein Gleichnis für alle Schaffenden!

Ergänzung zu 8: Der so genannte natürliche Tod ist durchaus keine unmittelbare Intention des Lebens. Denn in der Natur wird entweder gar nicht oder nicht natürlich gestorben. Das schmachvolle Dahinsiechen auf die Selbstzerfleischung der eigenen Organe zu ist erst die Konsequenz einer selbstgenügsamen, saturierten Existenz. Aber was geht es mich noch an, welche Arten von Tod es gibt und welche als die menschlichste erscheint? Es wurde schon zu lange darauf hinaus gelebt, glücklich zu sterben.

Ergänzung zu 10: Auf so und so eine Weise empfinde ich es als richtig und gut, aber auf jene Weise sollte ich es als richtig und gut empfinden. Solch wagende Fragen stelle ich nicht erst dann, wenn ich mich in Frage stelle; mit ihnen wage ich mich fragend über mich selbst hinaus und setze wiederum einen Imperativ, eine zu wünschende Gegenwart. Denn so sehr liebe ich alle möglichen Wirklichkeiten, dass ich jetzt schon dasjenige heilig spreche, das ich in diesem einen Moment noch nicht einmal wollen kann.

Ergänzung zum ersten und letzten Sieg: Würde ich hier wirklich noch etwas außerhalb von mir selbst schaffen, so würde ich entweder in einer überlegenen (nicht Freiheit schaffenden) Position dazu stehen – oder ich würde mich so weit entäußern, dass ich es nicht mehr gutheißen könnte. Das, was es gibt, bin alles ich. Ich gehe nicht in der Welt auf, sondern die Welt in mir.

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